Angela Janesch geb. Schauer, (vulgo Boschlsch Angela, Weißenstein Nr. 11)

Die schönsten Jahre in der Heimat


Die letzten Jahre in der Heimat

Dokumentation über die eigene Umsiedlung, Vertreibung, Inhaftierung in das Vernichtungslager Sterntal und dem Neuanfang in Deutschland)







Angela Janesch geb. Schauer, (vulgo Boschlsch Angela, Weißenstein Nr. 11)



Die schönsten Jahre in der Heimat

Ich bin im Jahre 1920 geboren, als das vierte von den acht Kindern des Schauer Johann (vulgo Boschlsch) und seiner Frau Helene, geb. Stampfel (vulgo Gerzesch), in Weißenstein Nr. 11. Für die ältere Generation möchte ich auch noch sagen, wer meine Großväter waren, denn der Boschlmatl und der Gerzmatl waren weit über die Altlager Gemeinde hinaus bekannt. Letzterer war der Vater meiner Mutter. Beide Höfe lagen fast in der Mitte des Dorfes einander schräg gegenüber, wobei Gerzesch Hof den meines Vaters an Größe und Behäbigkeit übertraf.

Bis in den ersten Weltkrieg betrieben meine Großeltern Stampfl auch noch eine Gaststätte, von der als Zeugen noch die große Küche, vor allem der große Herd sowie die Gläserschränke und das Dromur zu sehen waren.

Meine Großmutter väterlicherseits war schon gestorben, aber Gerzesch Mamma, die aus Neulag von Fink "Matoeisch" stammte, wurde für uns nach dem Tode unserer Mutter im Jahre 1929 mehr als nur Großmutter. Wenn wir in Not waren, kamen wir zu ihr. Nahtlos reihten sich die Kinder ihrer Tochter an die ihren, denn ihr jüngster Sohn war fast im gleichen Alter wie mein ältester Bruder.


Goldene Hochzeit meiner lieben Großeltern, 1940

Mich hatte meine Patin Aloisia Gliebe, um meine kranke Mutter zu entlasten, schon vor deren Ableben zu sich genommen. Sie war die Besitzerin von Haus Nr. 8 (vulgo Paetrsch) und Witwe. Sie und ihre Tochter Miene sorgten dafür, daß das Gefühl, Weise zu sein, so gut wie gar nicht aufkam.

Eingeschult wurde ich zwei Monate vor meinem sechsten Geburtstag. Frau Rosa Krische, Gattin des Oberlehrers Anton Krische, war in der ersten und zweiten Klasse meine Lehrerin. Den Religionsunterricht erteilte in der ersten Klasse Kaplan Schniderschitsch, der spätere Pfarrer von Warmberg. Sein Nachfolger war Kaplan Kreiner, der später als Pfarrer die Pfarrei Ebental betreute.


Klassenfoto / 1928

1928 fand in Altlag die Firmung statt. Unser Pfarrer Perz war zu dieser Zeit schon kränklich, so daß Kaplan Kreiner die Betreuung der großen Gemeinde an sich nehmen mußte.

Da bei uns nur alle 5 Jahre die Firmung erteilt wurde, nahm Kaplan Kreiner auch aus der zweiten Klasse die Kinder dazu. Diese mußten zuvor die 1. Heilige Kommunion empfangen und im Unterricht unter Beweis stellen, daß sie das Sakrament des Altares verstanden hatten. Ich war als Jüngste und fast Kleinste dabei. Wie gern wäre ich größer gewesen.

Kaplan Kreiner sagte schon lange vor Ostern, daß im Juli die Firmung sei, "und du Angela, brscht in Pischoef grießn."

Na ja, dachte ich, ist in Ordnung, denn ich wurde oft mit ähnlichen Aufgaben betraut; Gedichte bei Veranstaltungen vortragen, in der Schule Geschichten erzählen oder die Gretel im Theaterstück spielen, waren einige davon. De Loagare nahmen letzteres zum Anlaß, mich Jahre Gretel zu rufen, anstatt bei meinem Namen Angela oder Gele, wie ich auch genannt wurde.

Bis zur Firmung waren es noch einige Monate. Erst kamen Palmsonntag und Ostern. Das waren nicht nur Feiertage, die uns als Christen motivierten, sondern sie gaben auch den weltlichen Freuden breiten Raum. Im Vordergrund stand allerdings das christliche Leben. So hielten wir noch die 40 Tage Fastenzeit ein. In dieser Zeit wurde nicht getanzt oder sonstigen Vergnügungen gefrönt. In der Osterwoche erreichte die Enthaltung ihren Höhepunkt. Zu gut kann ich mich erinnern, wie ich als junges Mädchen Karfreitag nach der Kirche zum Ausbessern des Ackerzaunes der Ortschaft gehen mußte. Das erste Essen gab es um 2 Uhr nachmittags, Bohnen ohne Fett und dann nichts mehr. Die Hände und Füße waren von Dornen zerkratzt. Wiewohl uns am Zaun die Buschen und Männer die herbeigeschleppten Gabeln, voll mit Dornengestrüpp, abnahmen und auf die Staketen des Zaunes stülpten, war es eine schwere Arbeit.

Gemeinschaftsarbeit mußte im Frühjahr noch mehr geleistet werden. Die Wege mußten z.B. auch instand gesetzt werden.
Geordert und beaufsichtigt wurden diese Arbeiten nach einer Sitzung vom Ortsvorsteher (Schupon), meinem Vater.

Die Arbeiten wurden besonders gerne von der Jugend verrichtet, denn die rege Unterhaltung, das Scherzen und Lachen war eben gratis, wie auch die Arbeit.

Wie schon erwähnt, war am Palmsonntag der Auftakt zu den bevorstehenden Ostern. De Dirndlein trugen schön geschmückte Palmruten, de Biblein höchstens eine bis zwei Ruten ungeschmückt. So war es der Brauch. Meine waren mit die schönsten, denn ich bekam sehr schöne Zierbänder aus Amerika. Gekraenet hot sche Miene.

An diesem Palmsonntag vor der Firmung sagte Miene zu mir: "Et luß de Maschn ungreifn, daß schei et koatig brnt; bei schischtn geits Battina." Aus Erfahrung wußte ich, daß dies keine leere Drohung war.

Kaum in der Kirche war ich schon von einigen Mädchen umringt, die mit 'AH' und 'Oh' meine Schleifen handgreiflich bewundern wollten. In meiner Not sagte ich: "Et greifet sche un, bei Miene schlugt mi!"

Unser Kaplan hatte ein junges Mädchen beauftragt, die Schwätzer in der Kirche aufzuschreiben. Ahnungslos kam ich am Montag in die Schule. Bevor der Religionsunterricht begann, zog der Kaplan eine Liste aus der Tasche, las die Namen der Kinder, die geschwätzt hatten vor, nahm sein Steckerl und gab jedem eine Tatze. So der Name des Schlages auf die Innenhand. Na, das war etwas! Noch nie hatte mich eine Lehrkraft geschlagen. Ich war beleidigt. Der Lehrstoff der Stunde bezog sich auf die Kommunion und die Firmung. "Angela Schauer", sagte der Kaplan, "du wirst den Bischof grüßen." Ich war schon auf den Beinen. "Nein, Herr Kaplan, ich grüße nicht!" - Er, ganz verdutzt, "warum nicht?" - "Sie haben mich geschlagen!" - "Du hast in der Kirche geschwätzt." - "Nein, ich sagte nur, daß Miene gesagt hat, sie sollen meine Schleifen nicht angreifen. Mehr habe ich nicht gesagt." - "Warum hast du das nicht gesagt?" -
"Sie haben mich nicht gefragt" (ich schaute vorwurfsvoll) , - "sie haben mich einfach geschlagen." "Aber ich habe dir doch gar nicht weh getan. Nur ganz leicht habe ich das Steckerl hingelegt. Willst du nicht doch den Bischof grüßen?"


Kirche von Altlag

Ich überlegte. Es stimmte, weh hat es mir nicht getan, aber eine Schande war es. Da kam mir ein Geistesblitz. "Ja, ich grüße den Bischof, aber nur, wenn sie mir Zuckerl kaufen." - "Jawohl, ich kauf dir viele Zuckerl", sagte er und zwischen uns war Friede.

Die Osterwoche war schnell vorbei. Die Vorfreude ließ auch das Fasten nicht zu schwer werden. Gründonnerstag verstummten die Glocken. Miene hat gesagt, sie sind verreist. Das Läuten wurde durch das laute Knarren einer Korre angezeigt. Erst am Ostersamstag kamen die Glocken wieder von der Reise zurück. Für mich war es Realität.

Am Samstag schaute ich schon immer besorgt zum Himmel, weil ich Angst hatte, es könnte regnen. Um 3.00 Uhr nachmittags war nämlich Auferstehung. Zuerst gab es die Prozession um "de Loke" (Dorfweiher). Die Feuerwehr führte den Zug an. Der Feuerwehrhauptmann, Herr Hönigmann, den ich als unseren Kaufmann der Gemischtwarenhandlung sehr gut kannte, der mich nie bei meinem Namen rief, sondern bloß "Müschtrle" nannte, marschierte in schmucker Uniform neben seinen Mannen. Sie spielten einen Marsch. Mich begeisterte vor allem Herr Hönigmann. Dann kamen wohl die Vereine, Burschenschaft, Mädchenkongregation, Mariengarten, dann der Himmel mit dem Allerheiligsten, zwei Priestern, mehreren Ministranten und den 4 strammen Burschen, die den Himmel trugen.

Und da war wieder etwas, das meine Aufmerksamkeit kolossal in Anspruch nahm. Da ging nämlich unser Kaufmann Krische (Vater unseres Lehrers) und trug neben dem Himmel in seiner hocherhobenen Hand eine wunderschöne Statue des auferstandenen Heiland. Meine Bewunderung wurde nur durch die Angst getrübt, daß er vielleicht die Hand sinken lassen müßte, weil er sie nicht so lange in der Luft halten könnte.
Er war schon alt und hatte einen langen Vollbart, wie meine Großväter. Die Hand ließ er jedoch niemals sinken, auch nicht nach Stunden.

Nach dem Himmel kam der Altlager Kirchenchor. Wir hatten begabte Sänger und Sängerinnen, von denen Frau Rudi Krische, geb. Hönigmann, Mitglied des Gottscheergesangsvereins in Klagenfurt, als Beweis dienen mag.

Alsdann kamen nach der Fahne Altlags und ihren Anhängern die Fahnen der 7 Filialkirchen. Jeweils hinter den Fahnen die Dorfbewohner. Ja, wo waren nun wir Kinder? Ich weiß es nicht mehr genau, aber vielleicht hinter dem Chor.

In die Kirche zurückgekehrt, wurde der Himmel in der Mitte des Kirchenschiffes abgestellt. Da war ein Anbau auf der linken Seite, der einen großen Marienaltar und die Beichtstühle beinhaltete. In der Vorosterzeit wurde der Altar mit dem Grabe Jesu verbaut. In Lebensgröße mit einem Tuch um die Hüften lag er tot im Grabe. Bei jedem Kirchenbesuch beteten wir andächtig bei dieser Stätte. Wir hatten auch alle, jung und alt, unsere österliche Pflicht erfüllt. Auch die Burschen,die den Beichtstuhl lieber von außen als von innen sahen, entzogen sich dieser Pflicht nicht.

So warteten wir in großer Spannung, daß der Heiland, der im Grabe vor uns lag, auferstehen würde. Die heilige Handlung mit Gesang dauerte ziemlich lange. Erst wenn der Pfarrer mit sich immer gesteigerter Stimme zum dritten Mal das Allelujah geschmettert hatte (die Wiederholung sang der Chor), gab es im Grabe Jesu einen lauten Krach. Das Grab war leer und hinter den weißblauen Wolken über dem Grabe schwebte der auferstandene Heiland in großer Pracht und Herrlichkeit empor. Zum Stillstand gekommen, berührte er optisch gerade noch die Wolken mit seinen Füßen. Lange Jahre glaubte ich, daß sich der Jesus im Grabe hinter den Wolken verändert hatte. Das Gefühl, das ich empfand, kann nur einem Kinde gegönnt sein.

Es war aber nicht nur für die Kinder eine wunderbare Auferstehung, sondern für die ganze Kirchengemeinde. "Der Heiland ist erstanden", wurde von allen gemeinsam mit dem Chor gesungen sowie zum Schluß das "Großer Gott wir loben dich".

Dann weihte der Pfarrer noch das Essen, das die Haustöchter in großen Tschischtn (Kopfkörben) neben dem rechten Seitenaltar abgestellt hatten. Es war der Stolz jeder Bauerstochter, einen großen, schönen, mit Osterbrot, Eiern, Schinken und Kren gefüllten Korb, bedeckt mit einem bestickten Tuch, zum Weihen zu bringen. Viele mußten bis zu einer Stunde weit tragen. Daß der Druck des Korbes nicht auf die Kopfhaut einwirkte, wurde durch einen Riegel verhindert. Das war ein mit Sägespäne gefüllter runder Balg, der zur Zierde mit bunten Wollstoff streifen umwunden war. Diese Riegel wurden von den Frauen auch zum Tragen von Wasser, zum Essenbringen für die Arbeiter auf den Äckern oder Feldern, kurz für alles was auf dem Kopf befördert wurde, gebraucht.

Am Ostersonntag um 6.00 Uhr früh weihte der Pfarrer das Feuer. Ein Stück von der Kirche entfernt wurde ein Holzfeuer entzündet. Junge Buben warteten schon ungeduldig auf den Segen des Priesters, um ihre trockenen Baumschwämme im Feuer entzünden zu können. Die Schwämme waren an lange Drähte gebunden, und damit in der Luft geschwenkt, damit sie nicht erloschen. Bis zu einer Stunde Gehweg liefen die Buben, um den Bäuerinnen das geweihte Feuer für ihre vorher nicht beheizten Öfen zu bringen. Sie wurden reich belohnt. Ein Brauch, der auch heute noch in manchen ländlichen Gegenden gepflegt wird.

Für mich war wichtig, daß Ostersonntag die Sonne schien. Denn an diesem einzigen Tage im Jahr ging sie tanzend auf (das sagte Miene). Ich paßte schon im Garten auf die ersten Strahlen hinter der Bergkuppe auf. Sobald der Rand der Sonnenscheibe sichtbar wurde, kniete ich mich nieder und küßte die Erde. Eine Weile verharrte ich in dieser Stellung, dann hob ich den Kopf und die Sonne strahlte mich in ihrer ganzen Pracht an. Ich wußte, sie war tanzend aufgegangen.


An einem Sonntag in Weißenstein

Nachdem wir nun vor jedem anderen Essen vom geweihten Schinken und den Eiern gegessen hatten, bekam ich auch meine Ostereier. Es waren immer viele und ich konnte damit machen, was ich wollte. Ich ließ sie von den Burschen hacken. Das Ei wurde auf der Erde in eine kleine Mulde gelegt, dann trat der Bursch in Berührungsnähe an das Ei heran und entfernte sich im Rückwärtsgang um 5 Schuhlängen. Nun spreizte er die Beine, beugte sich nach vorn und warf mit aller Kraft eine Dinarmünze senkrecht auf das Ei. Die Münze sollte im Ei stecken bleiben. Tat sie es nicht, mußte mir der Bursch eine Krone geben, das waren 25 Para. Nicht selten hatte ich zum Schluß, wenn das Geld überhaupt nicht stecken bleiben wollte, das Geld und das zwar zerfledderte, aber zum Essen immer noch gute Ei. Da selbst die Besten nicht beim ersten Wurf Erfolg hatten, kam ich auf diese Weise zu einem netten Taschengeld. Bei Erfolg gehörte das Ei dem Hacker.

Soweit Ostern in der Heimat.

Ich hatte nun in der folgenden Zeit meinen Begrüßungstext und die Betonung für die Begrüßung des Bischofs zu üben. Kaplan Kreiner wollte, wie er sagte, sich nicht blamieren lassen.
Da wir um diese Zeit die Rinder auf die Hutweide trieben, und ich sie beaufsichtigen mußte, probte ich am liebsten dort. Ich stellte mir vor, ein Ochs oder eine Kuh wären der Bischof, machte eine formvollendete Verbeugung und sagte:

"Eure Bischöfliche Gnaden! Im Namen aller Mitschüler und Mitschülerinnen, im Namen aller Firmlinge bringe ich Ihnen ein herzliches Willkommen entgegen. Zum Zeichen unserer Freude über ihre Ankunft will ich Ihnen diesen Blumenstrauß überreichen und rufe Gott segne ihre Ankunft!"

Wenn ich bei "Gott segne" meine Stimme erhob und das Rindvieh mich verwundert anschaute, wußte ich, es war gut gesagt. Der Kaplan hatte nicht viel Mühe mit mir. Er war zufrieden. Daß es zu einer Panne kommen würde, ahnten wir nicht.

Im Juli, an einem heißen Samstagnachmittag, um 14.00 Uhr, warteten wir beim Altlager Friedhof auf den Bischof und seine Begleiter. Hunderte von Schülern und Erwachsenen, angeführt von der Geistlichkeit und Lehrerschaft, waren in geordneter Formation zum Begrüßungsort erschienen. Die Spannung wuchs, als sich die schwarze Kutsche näherte. Dann stieg er aus der Kutsche, groß, hager und ehrwürdig alt, der Bischof Jeglitsch Boniventura, der in Altlag seine letzte Firmung in Gottschee erteilte.

Nach ihm firmte Dr. Roschmann.

Als er vor mir stand, und ich ihm in das Gesicht schauen mußte, schien mir die Sonne so grell in die Augen, daß sie mir die Tränen in die Augen trieb. Sie stand nämlich genau da, wo für mich der Kopf des Bischofs war. Trotzdem sagte ich meine Begrüßung, schön in sein Gesicht sehend, verbeugte mich und trat rückwärts an meinen Platz. Ja und der Bischof mir nach, seine Blumen holend, denn ich hatte vergessen, sie ihm zu geben.

Du lieber Himmel, wie ich mich schämte. Er hob seine Hand, legte sie auf meinen Kopf und sagte "brav, brav, brav." Trotzdem wäre ich am liebsten in die Erde versunken. Daß mein Versagen die ganze Atmosphäre aufgelockert hatte, merkte ich nicht. Ich war verwundert, daß meine Lehrerin, Frau Krische, an meiner Seite blieb, und mir ab und zu den Kopf streichelte. Ich dachte mir, das dicke Ende kommt schon noch. Es kam aber anders als ich dachte. Als erster holte mich am Sonntag nach der Firmung Kaplan Kreiner von unserem Tisch in der Gaststätte Samiede (Schneidasch). Er zahlte einige Doppelliter Wein.

Mein Vater wehrte mit den Worten "Herr Kaplan, machen sie sich keine Unkosten, es war für mich auch eine Ehre, daß mein Dirndle den Bischof grüßen durfte", ab. Da lachte der und sagte, "Herr Schauer, deswegen zahle ich den Wein gar nicht, sondern, weil ihr Dirndle in der Schule alles wußte, was der Bischof fragte. Der Bischof prüfte gestern, nach dem Empfang, in der Schule die Kinder. Richtig aber prüfte er mich, ob ich den Kindern auch den vorgeschriebenen Lehrstoff beigebracht habe. Wenn nun ein Kind nicht antworten konnte, rief ich ihre Tochter auf. Sie wußte jedesmal die richtige Antwort. So konnte der Bischof feststellen, daß ich meine Pflicht erfüllt hatte."

Von diesem Gespräch erfuhr ich erst, als mein Vater schon 80 Jahre alt war, denn ich hatte damals nicht hingehört. Da erst konnte ich mir erklären, warum mich der Kaplan so weit nach hinten zu den Großen gesetzt hatte, daß ich bei jedem Aufruf von der Bank herunterrutschen und mich danach wieder hochziehen mußte.

Dann nahm mich der Kaplan bei der Hand und sagte, "so, jetzt gehen wir deine Zuckerl kaufen". Ich aber hatte schon lange bereut, daß ich die Zuckerl verlangt hatte. Damit nun die Sache für ihn nicht zu teuer werden sollte, bot ich ihm in meiner ausgestreckten Hand meine Barschaft von 4 Dinar an. "Nahm tuet mein Gaut a, daß es wor ei et ze teier bert", sagte ich. Er - "mein Dirndle, bueß i heint kaf zul i" - und lachte. Von Zuckerstand zu Zuckerstand ging er mit mir und kaufte vor den Augen vieler Zuschauer um mehr als 100 Dinar. Ein roter Zierkamm mit Steinen besetzt und eine Haarspange zur Stütze des Haarknotens war dabei. "Für später" - sagte er, "wenn due a Roidl brscht trugn." Tragen half er mir auch bis zum Samiede, denn ich hätte es nicht geschafft.

Ein beträchtliches Geschenk bekam ich vom Lehrerehepaar Krische, Frau Höngimann und mehreren anderen Geschäftsleuten.

Ich komme wieder zum Alltag.

Schulunterricht hatten wir ab der zweiten Klasse nur dreimal wöchentlich. Die andere Zeit verbrachten wir Kinder zum Großteil auf der Hutweide. Nachdem das Geschwisterpaar Hannes und
Mieno verstorben war, mußte jeder Bauer seine Rinder für sich beaufsichtigen lassen. Probleme hatten wenige, denn die Nachkriegszeit war auch die Geburtenstärkste.


Schule von Altlag

Daß wir das Beste aus der oft nicht leichten Aufgabe machten, ergab sich von selbst. Die Strafe steckten wir ein, ohne daß uns bewußt wurde, wie schwer es "inschr Leitn" war, wenn sie nach harter Tagesarbeit auch noch die von uns verlorenen Rinder suchen mußten.

Ich stellte im Verlieren den Rekord, möchte aber doch sagen, daß ich auch die schlimmsten Rinder hatte. In der Schwammerlzeit waren sie nur noch auf der "Motarekn" zu halten. Ein langer und breiter Hügel, übersichtlich und total abgefressen. Hungrig trieben wir sie hinauf und nicht viel besser wieder herunter. Nur gut, daß zu Hause im "Purm" schon das Gras wartete. Dabei hatten wir Weißensteiner die größte und schönste Weide. Weder die Altlager, Kletscher, noch Ebentaler, die Anrainer waren, hatten eine ähnliche. Wenn wir merkten, daß sie ihre Rinder über die uns sehr wohl bekannte Grenze fressen ließen, rotteten wir uns zusammen und vertrieben sie unter Umständen, die sich nur mit einem Indianerüberfall vergleichen lassen. Tatsächlich ist mir in meiner diesbezüglichen Karriere kein Fall bekannt, bei dem wir nicht als Sieger hervorgegangen wären. Ansonsten vertrieben wir uns die Zeit mit allerhand Spielen, Sautreiben, Kügrlein pfergn, hützn und Euchkatzlein spielen waren einige davon. Bei letzteren konnten wir Mädchen nicht mithalten, wiewohl wir auch im Bäumeklettern nicht schlecht waren. Die Buben suchten sich für dieses Spiel nämlich einen kleinen Birkenhain, mit lang aufgeschossenen Birken, kletterten fast bis zum Wipfel und wiegten den so lange hin und her, bis sie den nächsten Wipfel in Reichnähe hatten. Dann faßten sie diesen und hantelten sich so weiter, mit dem Ziel, einen anderen Buben zu fangen oder ihm zu entfliehen, je nach der Situation. Wir Mädchen langweilten uns in der Zeit nicht, so wenig wie sich jemand in einem Fußballstadion bei einem guten Spiel langweilt.

Sehr gern gingen wir uns auch in "de Loke" baden. Das war uns aber streng verboten. Übertraten wir das Verbot, merkten es
inscher de Leite sofort an den Wampen der Rinder - sie waren "hellig" und an unseren vom Wasser schmutzgrauen Hosen. Wegen des Schmutzes, den wir im Wasser aufwirbelten war uns das Baden verboten. Das trübe Wasser konnten die Rinder nicht mehr trinken, zuhause aber mußte man um diese Zeit sparsam sein. Bei Trockenheit wurden die Zisternen, die von Regenwasser über Dachrinnen gespeist wurden, schnell leer.

Bei den Hosen fanden wir rasch eine Lösung. Wir zogen sie aus, legten sie fein säuberlich auf einen Baum, daß sie die Rinder nicht fressen konnten und gingen nackt in das Wasser. Als wir dann heraus gingen, waren wir naß und hatten nichts zum Abtrocknen. Also liefen wir so lange um "de Loke", bis wir trocken waren. Da die Buben mit einer Hand die Scham bedecken mußten, was wir Mädchen ja nicht nötig hatten, überrundeten wir bei diesem Rennen die Buben um Längen. Überhaupt war die heute so sehr angestrebte Emanzipation bei uns kein Thema. Denn die Moral von der Geschicht, man hat es oder hat es nicht.

Richtig böse Buben hatten wir in der ganzen Gemeinde nur zwei. Sie waren etwas älter als ich. Daß sie unser Lehrer nicht vollends erschlug, wundert mich heute noch, denn, daß er dabei war es zu tun, konnte ich in der Schule deutlich sehen.

Als ich älter wurde, so ab meinem zehnten Lebensjahr, hatte ich nicht mehr so schlimme Rinder zu weiden. Ich wußte und suchte nun die Plätze, wo die Ochsen die in Kroatien mager gekauft wurden, genug zum Fressen fanden, damit wir sie nach einigen Monaten an den Fleischer verkaufen konnten. Zu dieser sogenannten fetten Weide mußte mein Freund John, der sich in ähnlicher Lage befand, viel weiter gehen. So nahm ich mir einfach einen der Ochsen zum Reiten. Bei Gerzesch Mauer, das war gleich nach dem Dorfende stieg ich auf und auf dem Heimwege wieder ab. Damit ich den Ochsen erreichen konnte, trieb mir John ihn an die Mauer. Auf der Weide erfüllte diesen Zweck ein großer Stein.

Sehen durfte es halt niemand. Ein Mädchen und reiten, noch dazu auf einem Ochsen, - nicht auszudenken, wie ich gehänselt worden wäre. John verriet mich nicht.

Eines Tages kam ich auf die Idee, meines Großvaters Kalbin zuzureiten. Denn, so dachte ich folgerichtig, sie ist kleiner, also auch ohne Hilfe zu besteigen und zum anderen würde sie nicht verkauft werden. Schließlich ist Reiten eine Vertrauenssache. Desto länger ich also ein Rind reiten konnte, desto vertrauter würde das Verhältnis zueinander; aber, wie gesagt, wissen durfte es niemand.

Doch mit des Geschickes Mächten ist kein ewiger Bund zu flechten. Die Kalbin ließ mich gerade aufsitzen, als mich der Onkel Franz, ältester Sohn des Großvaters, bemerkte.

"Due Kröte, due pekimmes heint won Attein!" - sein Kommentar. Ich hatte Angst, da ich aber doch einmal heimgehen mußte, ging ich wild entschlossen, aber doch sichtlich Reue zeigend in die Stube, wo ich Großvater wußte. Er saß in seinem Stuhl am Tisch, die lange Pfeife mit dem Porzellankopf, dem schönen Deckel und an der Seite die bunten Pommerl, die zum Aufhängen der Pfeife dienten, im Mund. An der Tür blieb ich stehen, denn das war sicher nicht nur für mich der unausgesprochene Sünderpfosten.

"Komm zu mir!", sagte Großvater ernst, aber nicht unfreundlich. Ich ging. Er legte den Arm um mich, zog mich an seine Seite und sagte: "Gele, du darfst mit der Kalbin reiten, nur laß ihr auch so viel Zeit zum Fressen, daß sie nicht hungrig von der Weide gehen muß." Ja, wie war mir denn da? Natürlich tat ich, wie der Großvater sagte. Ich ritt nun immer auf die Weide und zurück mit der Kalbin.

Großvater war, bevor er den Hof von seinen Eltern übernahm in Colorado gewesen und ritt dort Wildpferde zu. Verständlich, daß er für das Hobby seiner Enkelin nicht die gleiche Intoleranz hatte wie sein Sohn. Die Pferde blieben bis zu seinem Tode seine große Liebe.

Es dauerte nun nicht mehr lange, dann durfte ich nicht mehr auf der Weide bleiben. Um 4.00 Uhr in der Frühe mußte ich die Glocken der Rinder mit Heu verstopfen, damit die Leute nicht aufwachten, wenn ich sie durch das Dorf trieb. Übers Brückerle, gut 40 bis 50 Minuten bis hinunter "ze Baude" brachte ich sie. Dann machte ich die Glocken auf und wartete, bis sie richtig zu fressen begannen. Dann konnte ich sie allein lassen, bis ich sie um 9.00 Uhr
wieder holte. In der Früh lief ich auf dem Heimweg mit der Sonne um die Wette. Auf der Spitze vom Brückerlein lugte gerade die Sonne hinter den Bäumen am Auerspergschen Wald hervor. Nun lief ich nicht auf dem Wege, sondern über Stock und Stein den Berg hinunter. Zeitweilig sah ich sie schon fast heroben und dann fiel sie wieder zurück. Wenn ich bei Gerzesch Mauer das Dorf vor mir noch im Schatten liegen sah, hatte ich den Wettlauf gewonnen. Es machte mir großen Spaß.

Die Zeit der kindlichen Spielerei war vorbei, obschon ich noch zur Schule ging. "Hagn, jatn, rachn, Jot ausklaubn" und vieles andere mehr waren Arbeiten, für die Kinder meines Alters herangezogen wurden. Ganz wie von selbst band ich meine Schürze hoch und füllte sie so am Wege gehend mit Nüssen, Schwammerl, Schitzn und vielen anderen Dingen, die mir des Mitnehmens Wert erschienen. Zu Winteranfang konnten wir Mädchen die oben genannten Sachen verkaufen und hatten je nach Fleiß ein gutes bis sehr gutes Taschengeld. Die Buben und Burschen fingen mit kleinen Holzschachteln Siebenschläfer, zogen sie ab, trockneten die Bälge, indem sie sie auf ein zugeschnittenes Brettl streiften in der Luft. Das waren Arbeiten, die abends, in der Nacht und in aller Frühe gemacht wurden. Das dafür erhaltene Geld diente für verschiedene Sonderausgaben. Auf diese Weise hatten wir schon sehr früh Gelegenheit, Geld zu verdienen und auch damit nützlich umzugehen gelernt.

Ich möchte meinen Bericht über die schönsten Jahre in der Heimat nicht beenden, ohne von unserer "Weißensteiner" Kirche einiges zu erzählen. Sie war der heiligen Mutter Anna geweiht und stand 10 Gehminuten vom Dorf entfernt, noch bedeutend höher als das Dorf. Vor dem ersten Weltkrieg war sie ein Wallfahrtsort. Durch einen beträchtlichen Anbau, der auch vor dem Krieg mit Hilfe der in Amerika lebenden Weißensteiner erbracht wurde, ward sie zur größten Filialkirche der Altlager Pfarre geworden.


Weißenstein, Kirche St. Anna

Der Bauer Josef Kikel (vulgo Stafonsch) war Kirchenprobst. Da wir keinen Mesner hatten, wurde der Kirchenschlüssel jede Woche von Bauer zu Bauer weitergegeben. So kam es, daß ich schon als junges Mädchen mit meinem Vater Glockenspielen (klänken)
gelernt hatte. Kamen jedoch die Burschen uns zu helfen, gab es ein Geläut, das die Dorfbewohner hocherfreute. Unsere Burschen verstanden sich darauf.

Wurde ich allein zum einfachen Mittag- oder Abendläuten geschickt, hatte ich große Schwierigkeiten, die Glocke zum Stillstand zu bringen. Der Strick zog mich vom Boden hoch und entzog mir damit die Kraft zum Stemmen. Na, hieß es hernach zu meinem Verdruß im Dorf, "Gele due mischt nöch wiel Ganzelein aßn! "

Der fünfte Sonntag nach Ostern war unser Kirchweihsonntag. Wir Mädchen brachten, unterstützt von den Burschen, die Kirche auf Hochglanz. Wir flochten viele Kränze, manche reich gespickt mit Schneeglöckchen und brachten sie innen und außerhalb der Kirche an. Der Haupt- und die Seitenaltäre wurden überreich mit Blumen geschmückt. Wir freuten uns, daß unser Sonntag überdurchschnittlich gut besucht wurde, trotzdem, daß wir keine Gaststätte hatten. Heute kann ich es auch verraten, daß wir auch Telliansch Mama ihren schönen Blumenvorrat abbettelten, so daß gerade an diesem Tage ihr immer so schön geschmücktes Haus ganz kahl dastand.

Die Mauern unserer Kirche wurden zu Kalk verbrannt. Daher sind auch keine Ruinenreste mehr zu sehen, wie man sie sonst doch noch meistens ausmachen kann.

Meine Heimat - ich liebe dich !

Geschrieben am 25. Oktober 1984, Boschlsch Angela

www.gottschee.de

Artikel

Inhaltsverzeichnis




Angela Janesch geb. Schauer, (vulgo Boschlsch Angela, Weißenstein Nr. 11)


Die letzten Jahre in der Heimat

Unter dem Titel "Die schönsten Jahre in der Heimat" brachte ich 1984 die Erinnerungen an die Kindheit, die wir noch in Gottschee verbrachten zu Papier. In der Folge möchte ich schildern, wie wir als Burschen und Mädchen (wir waren die letzten dieser Generation) in der Heimat lebten, wie wir arbeiteten, wie unser Verhältnis zur Kirche war und wie sich unser vergnügliches Leben gestaltete.

Das christliche Leben, insbesondere die Marienverehrung war bei uns eine Selbstverständlichkeit. Unter Pfarrer Krisch wurden wir vom Mariengarten der Schulzeit in die marianische Mädchenkongregation übernommen. In all' unseren Nöten und Sorgen, ob sie den einzelnen oder die Gemeinschaft betrafen, beteten wir zur Gottesmutter, um Hilfe und Trost zu erhalten.


Marianische Mädchenkongregation, 1934

Bei Trockenheit, die unsere Ernte zu vernichten drohte, gingen wir (von jedem Haus mindestens eine Person) paarweise in Reihen betend jeden Tag in eine andere Filialkirche, um Regen zu erbitten. Braute sich ein Gewitter zusammen, bei dem wir Angst vor Hagelschauern haben mußten, zündeten wir eine Kerze an und beteten im Haus. Auch die Glocken wurden geläutet sowie mit Böllern geschossen, so daß oft doch die Wolken etwas aufgelockert werden konnten und wir nicht die geballte Ladung Unwetter auf unsere Äcker bekamen.

In schweren Zeiten kam es auch oft vor, daß ein Gelübde gemacht wurde. Meist wurde eine Wallfahrt versprochen, die wir im Laufe des Jahres erfüllten. So gingen wir auch einmal (afn Goetschbag) nach Oberskrill zur Maria sieben Schmerzen; Herr Pfarrer Krisch war auch dabei. Ich war schon ganz bedrückt, weil mich unser Pfarrer nicht zum Vorbeten aufforderte und dachte, womit ich ihn wohl beleidigt haben könnte. Jede alte Frau hatte schon vorgebetet. Als wir nun schon müde von dem 20 km langen Fußmarsch zum steilen Weg, der nach Oberskrill führte, kamen, rief er mich und sagte: "So, Angele, jetzt mußt du vorbeten, denn die alten Frauen kriegen hier nicht genug Luft in die Lungen, um vorbeten zu können, aber deine Stimme wird man weithin hören können wie ein Glöckchen." Ich fühlte mich wieder froh.


Unser christliches Leben schloß das Vergnügen nicht aus. Beides war eng miteinander verbunden; Tanzveranstaltungen wurden nur an Feiertagen wie Ostern oder Pfingstmontag, Kirchweih und am Stephanustag abgehalten. Die Einladung erfolgte nach altem Brauch durch unsere Dorfburschen und spielte sich wie folgt ab.

Wir Mädchen gingen in die Pfarrkirche zum Segen, den der Pfarrer um 14.00 Uhr gab. Hernach gingen wir nach Hause. Auf ungefähr halbem Heimweg begegneten uns die Burschen und forderten uns auf, mit ihnen zum Tanzen zu gehen. Na also, ließen wir hören, das ginge doch nicht, unsere Eltern (deren Erlaubnis wir uns in den letzten Wochen mühsam erkämpft hatten) würden es nie und nimmer erlauben. Diese Zeremonie spielte sich bühnenreif auf dem Wege ab, bis wir uns halb zwangsverschleppen ließen.

Auf der Veranstaltung ging es, wiewohl unsere Burschen die Zechen zu zahlen hatten, relativ zwanglos zu. Forderten uns Burschen aus anderen Dörfern zum Tanz auf, hatten die unseren kein Vetorecht; wurden wir von keinem Burschen aufgefordert, brauchten sie auch keine Rücksicht darauf zu nehmen, sondern konnten ihre Wahl nach Wunsch treffen. Bei Liebespaaren galten die Regeln, die heute noch üblich sind, also Zustimmung des Partners.

Zu schnell waren die frohen Stunden vorbei, denn wir mußten vor Sonnenuntergang zu Hause sein, natürlich nur wir Mädchen. Überzogen wir die Zeit, konnten wir sicher sein, daß der oder die nächsten Bälle ohne uns stattfanden, denn Vergeßlichkeit konnten wir unseren Eltern nicht nachsagen. Die Burschen brachten uns immer wohlbehalten nach Hause, wobei ich sicher bin, daß manchesmal einige nur schwer ihre Eroberungen zurückließen. Hatten sie Glück, so waren sie noch da, wenn sie zurückkamen. So war es der Brauch bei uns und er wurde so von Generation zu Generation beibehalten.


Auf der Hutweide

Diese paar Tanzveranstaltungen waren natürlich nicht unsere einzige Übung, denn wir tanzten gern und, wie ich meine, auch gut. An gewöhnlichen Sonntagen trafen wir uns in einem Privathaus (meistens bei uns) für einige Stunden zur Unterhaltung. Oft kamen auch Burschen aus den umliegenden Dörfern zu diesen fröhlichen Treffs.
Einer der Burschen (viele verstanden sich darauf) griff sich die Ziehharmonika und spielte zum Tanz auf oder begleitete uns beim Singen der Volkslieder.

Im Herbst, wenn die Ernte eingebracht war, begannen auch die Gemeinschaftsarbeiten. Die Mädchen wurden von den Bauersleuten gebeten, nach Feierabend zum Rübeneinschneiden (Ruebnstoaßn), Maiskolbenabzupfen (Boizewaschn) oder Maisabreiben (Boizereibn) zu kommen. Rübeneinschneiden gingen wir am liebsten. Angetan mit sauberer neuer Schürze, ebensolchem Kopftuch, damit keine Haare in das Einmachgut fallen konnten, ein neuwertiges Schneideisen und ebensolches Holzschaff waren zu dieser Arbeit nötig. Die Rüben waren sauber gewaschen, von Kraut und Wurzeln befreit, auf weißen Tüchern auf dem Fußboden aufgeschichtet. Die Burschen stachen den Wurzel- und Krautkern aus den Rüben und reichten sie uns zum Hobeln. Bis zu 3 große Bottiche wurden so in einigen Stunden verarbeitet. Eingetreten wurden sie von 2 - 3 starken Buben, denen die Bäuerin die Hosen bis übers Knie krempelte, die Füße sauber wusch und sie noch zum Urinieren drängte, damit sie nicht zur eigenen Gaudi ihr Wasser in das Einmachgut lassen konnten. Waren sie fleißig (der Rübensaft mußte in gleicher Höhe wie die Frucht stehen), bekamen sie von der Bäuerin eine extra Belohnung.

Nach jedem 4. bis 5. Schaff wurden einige handvoll Salz eingestreut und zum Schluß wurde das ganze mit dicken Brettern und schweren Steinen abgedeckt. Ohne Konservierungsmittel waren Rüben wie Sauerkraut das ganze Jahr haltbar und für uns ein ganz wichtiges Nahrungsmittel, vitaminreich und bekömmlich. Als Beilage zum Sterz, mit Griebenschmalz (geschmauzet) abgerundet, so wünsche ich mir noch heut oft, unsere wichtigste Nahrung ab und zu essen zu können.

Da ich eben den Sterz erwähnte, will ich auch noch berichten, wie damit verfahren wurde, weil es mit viel Arbeit verbunden war. Im Frühjahr wurden die Körner in den vorbereiteten Ackerboden gelegt. War die Saat gut aufgegangen, wurde zweimal geharkt und einmal gehäufelt. Im Herbst, als dann die Kolben reif waren, wurde der ganze Stamm kurz oberhalb der Erde abgeschnitten und eingefahren.

Zuhause rissen wir die Kolben ab und warfen sie auf einen großen Haufen zusammen, entweder in den Stadel oder auch in die Stube. Abends kamen wir wieder zur gemeinsamen Arbeit bei dem jeweiligen Bauern zusammen. Die Mädchen zupften die starren und überzähligen Blätter vom Kolben, ließen einige Innenblätter stehen und streiften sie zu einem abstehenden Büschel überkreuz und schlugen mit elegantem Schwung einen der Kolben darüber. Nun steckten sie das Ende des passenden Büschels in die so entstandene Halböffnung und zurrten eine feste Schleife. Das ging sehr schnell und wir Mädchen verstanden uns auch bestens darauf. Die meisten Frauen und Mädchen beherrschten auch sämtliche Männerarbeit. Zum Trocknen wurde der Mais auf Stangen oder Zöpfen aufgehängt und im Winter auch oft in Gemeinschaft abgerieben, sodann ganz trocken zum Mahlen in die Mühle gefahren.

Außer Mais bauten wir noch Gerste, Hafer, Buchweizen und Hirse auf unseren Feldern an. Weizen war nicht so ertragreich und wurde schon gemahlen im Geschäft gekauft. Das aus dem Banat stammende Adamehl eignete sich besonders gut für die bei uns so beliebten Pebollizen und den Strudel.

Einige Worte noch zur Hirse, bei deren Abendarbeit wir die größte Gaudi hatten. Nachdem sie geschnitten, in Garben gebunden und in der Harfe (Koasel) gut getrocknet war, schichteten der Bauer und seine Familie die Garben zu einem hohen Stapel im Stadel. An der Längsseite im Stadel war an der Wand nur zum Hirsereiben eine lange starke Stange angebracht, damit wir uns festhalten konnten, während wir die Garben mit nackten Füßen nach hinten rollten und dabei gefühlvoll das Korn austraten.

Die Burschen warteten im Stadel auf uns. Kaum hatten wir die Schuhe ausgezogen, stürzten sie sich auf uns und wollten uns auf den Stapel werfen. Gelang dieses Vorhaben, sprang der Bursche hinterher und busselte das Mädel ab, während die anderen vor Vergnügen jauchzten.

So dauerte es eine ganze Weile, bis wir richtig zur Arbeit kamen. Wenn ein Bursche nicht die Kraft hatte, ein oder sein Mädchen hinauf zu werfen, war es für ihn deprimierend, genau wie für ein Mädchen auch, das nicht hinaufgeworfen wurde. Fand ein Mädchen Gefallen am Burschen, erleichterte sie ihm durch ihre Haltung den Wurf und dieser wiederum sorgte dafür, daß das Mädchen nicht zu sehr beiseite stand.

Nachdem der Auftakt vorbei war, legten sich die Burschen unter die Haltestange und schauten uns unter Lachen und Scherzen bei der Arbeit zu, nicht zuletzt wegen der schönen Aussicht, durch die sie vielmehr von den Beinen der Mädchen sehen konnten als normalerweise erlaubt war. So war es beim Hirsereiben - ein harmloses, doch zu keiner anderen Zeit erlaubtes Vergnügen.

Nach all diesen abends ausgeführten Arbeiten gab es danach von der Bäuerin zum Essen und Trinken. Später wurde noch eine Weile getanzt oder wir vergnügten uns mit Spielen aller Art. Ganz nach dem Motto "halte dich bei der Arbeit zur Seite" will ich auch als letztes von unserer alltäglichen Arbeit und der Arbeit, mit der wir uns nebenbei ein Taschengeld verdienten, berichten.

Viehzucht war eine der Möglichkeiten, mit der Arbeit auch Geld zu erwirtschaften. Die Aufzucht jedoch war langwierig und brauchte Jahre, bis z.B. ein paar Ochsen aus eigener Zucht verkauft werden konnten. Viel schneller ging es, wenn Ochsen mager gekauft, 3 bis 4 Monate gut gefüttert und dann auf dem Markt an die Metzger verkauft wurden. Leicht zu errechnen, wie oft letztere in den 3 Jahren, die zur Aufzucht nötig waren, einen ganz schönen Verdienst verbuchen konnten. Die mageren Ochsen konnte man auf den Märkten kaufen, die fast monatlich in Gottschee abgehalten wurden. Meist jedoch gingen wir und holten sie direkt an der Quelle, nämlich im kroatischen Raum.


Jahrmarkt in Gottschee

Verdienst brachte auch die Schweinemast und der Verkauf von Kälbern, deren Absatz fast immer gegeben war. Milch, Eier, Obst und viele andere Lebensmittel, die verderblich waren, konnten wir durch die weite Entfernung zur Stadt nicht verkaufen. Wir verwerteten sie im Hause, um sie auf Umwegen doch noch zu Geld zu machen. Beim Obst gelang uns das immer, weil wir Schnaps kochen konnten. In einem guten Obstjahr machten wir bis zu 300 Liter guten, zweimal gebrannten Schnaps. Verkauft wurde er erst im darauffolgenden Frühling, weil wir dann die besten Preise erzielten.

Holz, das auch eine wichtige Einnahmequelle war, wurde nur in Notzeiten geschlagen, außer, es wurde ein besonders guter Preis geboten. Haushalten war hier die Devise.

Ich sprach vom Taschengeld, das wir uns nebenbei verdienen konnten. Nun, es war nicht nur ein Geld nebenbei, sondern, es war auch die Arbeit so nebenbei, daß es die Eltern fast nicht merkten, denn die reguläre Arbeit durfte darunter nicht leiden. Wir Mädchen sammelten und pflückten unter anderem Steinpilze, Haselnüsse und Walnüsse in unsere zu einer Tasche aufgebundenen Schürze, wenn wir unserer Tagesarbeit nachgingen. In der Frühe, sobald es das erste Morgengrauen zuließ, gingen wir mit Körben und pflückten auf den uns wohlbekannten Plätzen die Pilze, schnitten sie zum Trocknen auf, um sie dann in Säcken gefüllt dem Pilzhändler zu verkaufen. Mit den gepflückten Nüssen konnten wir auch noch ein Scherflein verdienen, da aber behielten wir einen Teil zurück, damit wir zu gegebener Zeit den Burschen aufwarten konnten, denn wenn ein Mädchen keine hatte, galt sie als faul. Nicht ganz zu Unrecht, wie ich meine.


Ausflug zur Eishöhle, 1939

Auch bei den Burschen war die Voraussetzung zu einem guten Nebenververdienst der Fleiß, den auch die Mädchen vermerkten. Die Haupteinnahme war bei ihnen der Verkauf von Siebenschläferbälgen. Die ganz tüchtigen brachten es auf zwei bis dreihundert Siebenschläfer, die sie in den sogenannten "Pilichmatzlein" fingen. Zuhause wurde der Balg abgezogen und über ein zurechtgeschnittenes Brettl gestreift, so daß sie straff gespannt trocknen konnten. Der Aufkäufer zahlte oft gute Preise, so daß das Taschengeld oft sehr stattlich ausfiel.

Vermerken möchte ich, daß jedermann im Dorf das Recht hatte, die oben erwähnten Dinge auf Gemeinschaftsgrund zu sammeln oder zu fangen. Auch auf dem Alleinbesitz namen es die Bauern nicht so genau, so daß auch die Nichtbesitzer die gleichen Möglichkeiten hatten.

Mitte der dreißiger Jahre wurde der Schwäbisch-Deutsche-Kulturbund gegründet, der neue Varianten in unser Leben brachte. Bei den wöchentlich stattfindenden Heimabenden lernten wir viel, vor allem Handarbeiten anfertigen, was uns später zugute kam. Durch den Export mancher Landwirtschaftsprodukte erreichten wir einen besseren Lebensstandard.

Der Krieg, der zu Ostern 1941 gerade 14 Tage dauerte, brachte uns die italienische Besatzung, die die Umsiedlung der ganzen Volksgruppe zur Folge hatte. Es war der Beginn eines Kreuzweges, an dessen Ende der Untergang und das Verderben stand. Ich verweise auf die Dokumentation, die ich 1981 durch Herrn OSR. Erker bei der Sepp-König-Stiftung deponieren ließ.

Viele unserer Besten, die damals zu den Waffen gerufen wurden, sind gefallen oder starben in Gefangenschaft. Wir, die wir noch leben, sind in aller Welt verstreut, sind aber dankbar, daß wir uns mit unseren Landsleuten treffen können, auch wenn die Anreise zu diesen Treffen oftmals sehr weit ist.

Wir wünschen von ganzem Herzen allen nachkommenden Generationen, daß sie in Frieden leben dürfen und nie wieder ein Krieg ihr Leben und ihre Heimat bedroht.

München, den 10. Juli 1987

Angela Janesch, geb. Schauer, Weißenstein Nr. 11

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Inhaltsverzeichnis




Angela Janesch geb. Schauer, (vulgo Boschlsch Angela, Weißenstein Nr. 11)

Dokumentation (über die eigene Umsiedlung, Vertreibung, Inhaftierung und dem Neuanfang in Deutschland)

 

Vorwort zu meiner Dokumentation

Mein Tatsachenbericht bezieht sich in der Hauptsache auf meine Kinder und mich selbst. Jede Einzelheit entspricht der Wahrheit.

Die Gespräche mit den Partisanen wurden in slowenischer Sprache geführt. Ich lege Wert darauf, daß dieser Tatsachenbericht nicht verändert oder verfälscht wird.

Es gebe natürlich noch unendlich viele Begebenheiten zu berichten, aber ich bin noch berufstätig und habe Familie, es fehlt mir daher die Zeit.

München den 03.02.1981
Angela Janesch geb. Schauer


Ich, Angela Janesch, geborene Schauer, geb. am 23.11.1928 in Weißenstein Nr.11 bei Vulgo Böschlsch, war beim Einmarsch der deutschen und italienischen Truppen im Jahre 1941 in Gottschee noch ledig. Zusammen mit meinem Vater, Johann Schauer, meiner Schwester Veronika und meinem Bruder Friedrich, der noch in die Schule ging, bearbeiteten wir unseren Bauernhof mit Freude und Erfolg.

Meine Großmutter mütterlicherseits, Josefa Stampfel, geb. Fink aus Neulag, und die Mutter von Sepp König waren Schwestern. Beide waren in der Zeit schon verstorben. Ihr Bruder, der das Elternhaus in Neulag (Matjoisch) übernommen hatte, lebte damals noch, er war ca. 80 Jahre alt. Sein Sohn Eduard Fink, war mit seiner Familie österreichischer Staatsangehöriger und mußte bei der Kriegserklärung Deutschland / Jugoslawien innerhalb von 24 Stunden das Land verlassen, und da fängt meine Geschichte an.

14 Tage vor Ostern, ich war gerade vom Felde Nachhause gekommen, rannte ein Sohn von Eduard und Maria Fink aus Neulag in unseren Hof und rief: "Angela, Angela komm bitte schnell zu uns. Meine Mutter hat mich geschickt,wir müssen nach Österreich, weil Krieg ist und du sollst auf unser Haus auf passen". "Nein", sagte ich, "das ist unmöglich, wir sind so schon zu wenig Leute und der Frühjahrsanbau beginnt. Ihr müßt jemand anderen suchen, in Eurem Dorf gibt es Leute genug."

Er ging, aber eine halbe Stunde später war er wieder da. Er weinte herzzerreißend, seine Mutter wüßte niemanden und ich wäre die einzige der sie vertrauensvoll alles überlassen könnte (Na ja ein Bauernhof ca. 70 Hektar Grund mit Hund und Rind und 2 alten Großvätern). In 14 Tagen ist der Krieg bestimmt aus, dann könnte ich wieder Zuhause arbeiten. Ich hatte Mitleid und der Krieg war wirklich 14 Tage später vorbei, aber Familie Fink machte in Österreich Urlaub, während ich fast jeden Tag 10 Tagelöhner zum Anbau des großen Betriebes beschäftigen mußte. Ich pendelte zwischen Neulag und Weißenstein hin und her, begleitet von dem großen Hund der Fam. Fink, der sehr wohl wußte, daß mir von den fliehenden Serben, genau wie von den kommenden Italienern Gefahr drohte.


Josef Fink & Angela Janesch

Es war Ostern, als Jugoslawien kapitulierte, Ostern 1941. Was für ein Tag. Jubel bei den Menschen und eitel Sonnenschein in der Natur, geschenkt von Gott, der unsere Geschicke leitet. Wir warteten auf den Einmarsch der deutschen Truppen schon Tage, jedoch vergebens. Zweifel und Hoffnung, mit bangen Fragen machte im Ländchen die Runde, bis wir es genau wußten, keine deutsche sondern italienische Besatzung mußten wir erleben. Die Enttäuschung war groß. Hatten wir doch seit 1918 unter fremder Herrschaft gelebt und nun sollte nur die Nationalität der Machthaber wechseln, nicht das Mutterland wie wir gehofft hatten.

Verhandlungen fanden statt. Dann sickerte durch, daß Deutschland und Italien die Umsiedlung der Gottscheer in deutsches Gebiet beschlossen hätten, da Italien (das Holzarm) unser an Wald so reiches Gebiet dringend brauche. Nein gefallen hat uns das nicht, aber lieber als wieder einen fremden Staat zu dienen, wieder um unsere Sprache und Kultur bangen zu müssen, lieber freundeten wir uns mit dem Gedanken nach Deutschland umgesiedelt zu werden an. Wo wir angesiedelt werden sollten wußten wir nicht, unser Vertrauen war groß genug, die ab und zu auftretenden Zweifel zu überwinden. Und außerdem, da doch die älteren Leute, die Besitzer die ganz Reichen und die Intellektuellen keine Bedenken hatten, warum sollten dann wir welche haben. Mir stand die Welt offen, jung gesund und kräftig wie ich war. Gewiß unser Hof war schön das Haus 1936 total renoviert, aber wir würden Ersatz bekommen. Wir bestellten unsere Felder und wir ernteten. Jeder arbeitete bis zum letzten Tag.

Am 4. November, 6 Wochen vor der Umsiedlung heiratete ich nach Verdreng zum Janesch, den Ältesten von Vulgo Kumpn, den Josef. Da ich bei der Durchschleusung noch bei meinen Vater lebte, hätte ich auch mit ihm umsiedeln müssen, jedoch mein Mann war entschieden dagegen. So kam es, daß ich bald zurück geblieben wäre, wenn mich nicht Herr Harde im Abteil der Prominenz über die Grenze geschmuggelt hätte.


Josef Janesch

In stockfinstrer Nacht kamen wir im kroatischen Grenzgebiet bei Rann / Save an. Meine Güte war das ein Schreck. Das sollte nun unsere neue Heimat im Mutterland Deutschland sein? Kroatisches Land, aus dem man die Bauern und Andere ausgesiedelt hatte, um hier mit uns einen lebenden Grenzschutz zu bilden.

Die Reaktion der Leute war entsprechend, um es mit den Worten im neuen Testament zu sagen "Heulen und Zähneknirschen". Es waren massive Drohungen von seiten der Behörden nötig, um die Menschen fügbar zu machen. Einige Familien wurden in Lager ins Reich gebracht und das untermauerte die Drohung.

Nein, auch ich war nicht zufrieden. Ein baufälliges niedriges Haus, abseits der Dorfgemeinschaft wurde uns bei Nacht und Nebel zugewiesen. Ich merkte, daß unsere Liebe und Treue mißbraucht wurde. Auf dem Felde hatte ich täglich von 7 bis 12 Uhr zu arbeiten, Nachmittag von 14 bis 18 Uhr. Außerdem hatte man mir 45 Schweine zum füttern übertragen und 5 Kühe zum melken und diese Milch zur Sammelstelle am anderen Ende des Dorfes zum abliefern befohlen. Die Hausarbeit teilten wir uns, meine Schwiegermutter und ich. Die Verwaltung lag in Händen
der Deutschen Ansiedlungsgesellschaft die ihren Sitz in Marburg / Drau hatte.

So lange ich nicht schwanger war, konnte ich diese Leistung erbringen, denn ich war ein festes und kraftstrotzendes Mädchen gewesen, vertraut mit allen, auch mit den schwersten Männerarbeiten. Mit meiner Schwangerschaft änderte sich das, ich konnte nicht essen, verlor zusehend an Gewicht, so daß mich bald die große Last zu Boden zu drücken drohte. Die DAG hatte begonnen, die Höfe zur Bearbeitung auf eigene Rechnung den Bauern zuzuteilen.

Mir wurde Angst und Bange, ich wog mitsamt der Frucht meines Leibes nur noch 50 kg und konnte fast nicht mehr aufrecht gehen.

Von der Mutter meines Mannes hatten wir Zuhause die kleine Gastwirtschaft, sowie das halbe landwirtschaftliche Anwesen übernommen. Im einvernehmen mit meinem Mann, begab ich mich nach Marburg zur DAG und zur Vermögensverwaltung und bat uns einen Gewerbebetrieb und nicht einen Hof zur Verwaltung zu geben. Mein Antrag wurde aus gewerbeamtlichen Grund abgelehnt. In meiner Verzweiflung, ging ich noch einmal zur Vermögensverwaltung. Ein Herr Dr. Günther hörte mich an. Mitfühlend meinte er, "liebe Frau, ich würde ihnen gerne helfen, doch mit dem Gewerbeamt habe ich nichts zu tun. Dieses Amt gehört nicht in meinen Verantwortungsbereich - trotzdem, gehen sie morgen noch einmal hin. Kommt man ihnen entgegen, so kommen sie nicht sich zu bedanken, kommt man ihnen nicht entgegen, so wissen sie, daß ich nichts für sie tun konnte."

Nächsten Tag empfing man mich auf dem Gewerbeamt, na wie eine Königin. Zwei Betriebe bot man mir an, eine große Gaststätte und ein kleines heruntergewirtschaftetes Lebensmittelgeschäft. Wir entschieden uns für das kleine, bei Cilli gelegene, (also außer dem Ansiedlungsgebiet) Lebensmittelgeschäft. Einzige Bedingung dafür war, 3000.- RM Kaution und meine bindende Unterschrift, daß das Geschäft ordnungsgemäß geführt werde. Ich erwartete mein Kind bis Weihnachten, das Geschäft sollten wir am 13 Jänner 1943 übernehmen. 14 Tage vor Weihnachten verwies uns die DAG des Hauses, in dem wir das ganze Jahr gewohnt und so schwer gearbeitet hatten. Meine Bitte uns noch einen Monat im Haus zu lassen half nichts. Wir mußten in das Häusl, in dem nur 1 Zimmer heizbar war. In diesem lebten die Eltern meines Mannes nachdem wir umgezogen waren. Es war der 10. Dez. 1942, eisige Kälte.

Mein Mann besorgte einen Sägespanofen, doch der funktionierte nicht richtig. Ständig war Rauch im Zimmer, beim Rohr tropfte ein Rußgemisch in das Zimmer und es stank fürchterlich. Am heiligen Abend 1942 gebar ich mein erstes Kind, unter denkbar schlechten Umständen. Ich will mich hier nicht näher einlassen, nur, daß in der darauffolgenden Nacht, auch noch der Ofen neben meinem Kopf explodierte. Der Deckel flog in hohen Bogen durch die Luft und landete auf dem Fußboden. Der Rauch qualmte in dicken weißen Schwaden aus dem Unterteil das stehen geblieben war und angesengte Sägespäne war am Boden verstreut. Mein Mann riß das Fenster auf und stülpte den Deckel wieder auf das selbstgebastelte Rohrunterteil. Na also, dem sicheren Erstickungstod waren wir entgangen, an diesem heiligsten Tag des Jahres, Christtag 1942.

Als wir 16 Tage später nach Cilli übersiedelten, war ich so schwach, daß ich mich kaum auf den Beinen halten konnte. Trotzdem gab ich nicht auf. Das Geschäft war heruntergekommen, hatte einen sehr geringen Umsatz und war inmitten slowenischen Gebiet, also keine günstigen Voraussetzungen für den Gottscheer Eindringling. Die paar Kunden die wir hatten, waren als deutschfreundlich bekannt. Ich beherrschte die Sprache nicht und auch sonst verstand ich nichts von einem Geschäft. Mein Mann war mir keine Hilfe, trotzdem sein Bruder in der Heimat ein kleines Lebensmittelgeschäft gehabt hatte.

Von den 2 Verkäuferinnen die wir mitübernommen hatten, schaute ich mir ab, was den Verkauf und das Kartenwesen betraf. Die Geschäftsführung verdankte ich den vorhandenen Unterlagen und der Logik. Es war schwer, fast zu schwer, doch ich habe es geschafft. Mein Mann wurde eingezogen (zur Wehrmannschaft) den Verkäuferinnen mußte ich kündigen, ich stellte eine junge Verkäuferin und einen Lehrling ein. Den doppelten Umsatz verdankte ich wahrscheinlich meinem elenden Aussehen. Spaß beiseite, aber ich vermute, daß es nach dem Reden der Frauen schon ein wenig dazu beigetragen hat, abgesehen davon, daß die Kunden großes Vertrauen in mich hatten, was ja bei der Lebensmittelzuteilung nicht ohne Gewicht war.

Im Laufe des Jahres 1943 hatte ich einen Abgang. Der Arzt sagte, ich wäre für die Schwangerschaft zu schwach gewesen. 1944 wurde ich wieder schwanger. Außerdem forderte mich das Ernährungsamt auf, den Laden in den Markt Hoheneg zu verlegen. Ich hätte auch schließen können, was angesichts meiner Lage vernünftiger gewesen wäre, doch mein Mann war damit nicht einverstanden. Ich konnte mich nicht durchsetzen, denn schließlich mußte ich mit ihm und seiner Familie leben. Für den Umzug bekam er Urlaub.

Im Februar 1945 gebar ich mein zweites Kind, einen Buben. Mein Mann hatte wieder 14 Tage Urlaub bekommen. Er mußte auch in Hoheneg bleiben. Wir hatten wegen Partisanengefahr umziehen müssen, weil die Läden außer Nähe von Polizeischutz überfallen und ausgeraubt wurden, dieses galt auch für wehrfähige Männer. Entbunden habe ich bei unter null Grad im Zimmer, das Wasser im Grantl (im Ofen) war gefroren.

8 Tage nach der Geburt mußte mein Mann wieder einrücken. Ich war sehr traurig, denn ich ahnte, daß wir uns vor Kriegsende nicht mehr sehen würden. Durch die Aufregung bekam ich Fieber und mußte noch 5 Tage das Bett hüten. Dann ging es mir wieder besser. Zur Betreuung des Kindes hatte ich ein Pflichtjahrmädchen. Ein nettes Kerlchen, das sich auf Kinder verstand. Ich stillte voll, denn ich dachte an die uns sicher bevorstehende Flucht und daß ich nur so das Baby durchbringen konnte. Drei Monate später war es soweit. Ich wollte flüchten, aber die Partisanen hatten unsere Pferde gestohlen. Daher ging ich nach Cilli, um mich nach einer Möglichkeit, mit dem Zug das Land zu verlassen zu erkundigen. Die deutschen Verwaltungsangestellten, von denen ich einige kannte, hatten die Züge für sich in Anspruch genommen. Für mich hieß es, gäbe es keinen Platz mehr, weil sie auch noch Möbel mitzunehmen hätten. Vom Bürgermeister des Ortes erhielt ich eine Warnung. Fünf Minuten zu früh, wenn ich ginge (das Lebensmittelgeschäft war unterdessen für lebenswichtig erklärt worden) sei ich eine Leiche, aber, setzte er hinzu, 5 Minuten zu spät, und sie sind auch verloren.

Ja, was sollte ich tun?

Mittlerweile waren die Straßen so voll von Flüchtlingen, daß wir unmöglich die Straße überqueren konnten. Domobranzi, Ustascha und andere Gruppen aus den sich gegenseitig bekämpfenden Jugoslawen überfluteten die Straßen. Wir hatten keine Ahnung gehabt, daß sich im Innern des Landes so viel verschiedene Parteien gebildet hatten. Diese Flüchtlinge waren bewaffnet und kämpften sich den Weg frei bis über die Grenze zu den Engländern oder Amerikanern. Trotzdem sollte sich später zeigen, daß die Partisanen noch einen sehr großen Teil gefangen nahmen, und wie es ihnen ging, will ich später berichten.

Unter vorgenannten Umständen konnte ich mit meinen beiden Kindern, einem Mädchen von 2 Jahren und 4 Monaten und einem Buben mit 5 Monaten, nicht flüchten. Deshalb hatte ich für Brot zwei kleine Pferde von Flüchtlingen eingetauscht.

Ich führte die Pferde zu meinen Schwiegereltern und sagte, sie sollen den Wagen zur Hälfte beladen und die andere Hälfte für mich und die Kinder lassen; dann wollen wir uns den Flüchtlingen anschließen. Als sie mit dem Wagen kamen, war er so voll beladen, daß ich kaum mit den Kindern ganz ohne Gepäck Platz gehabt hatte. So sagte ich, sie sollen allein fahren. Eine deutsche Frau, die ganz am Waldrand wohnte, bot mir an, mich und die Kinder zu verstecken. Nun fuhren aber die Schwiegereltern auch nicht. Die Schwiegereltern aber wollte die Frau nicht aufnehmen und alleine konnte ich sie nicht lassen. So blieb ich in dem Haus und wartete, was nun kommen würde.

Von der neuen Gemeindeverwaltung bekam ich wie alle anderen den Auftrag, den Laden zu schließen und unter Androhung der Todesstrafe wurde mir verboten, irgend welche Lebensmittel, egal an wen, zu verkaufen. Nur für mich und meine Familie konnte ich das Essen entnehmen.

Acht Tage war alles ruhig. Der Einmarsch der Sieger hatte unter großem Jubel der Bevölkerung stattgefunden. Ich fürchtete den Tag, an dem der Besitzer des Geschäftes zu seinem Haus kommen würde. Ich hatte all seine Sachen, die noch da waren, als wir in sein Haus zogen, in einen Raum zusammengestellt und mit dem Geschäft konnte er mehr als zufrieden sein, denn das Lager war voll bis unter den Boden. Aber er war mir als grober Mann geschildert worden. Seine Frau war von den Deutschen erschossen worden, nachdem er in den Wald gegangen war und sie ihn angeblich heimlich unterstützt hatte.

Eines Tages, ca. 8 Tage nach dem Einmarsch der Partisanen, begegnete mir ein fremder Mann. Mein Gefühl sagte mir, der ist es. Ich ging auf ihn zu und fragte ihn geradeheraus, ob er der Herr Antloga wäre. Er schaute mich erstaunt an und bejahte. Ich stellte mich vor und bat ihn, mit mir ins Geschäft zu kommen, um festzustellen, ob alles in Ordnung wäre. Zur Kontrolle übergab ich ihm die Liste über die Sachen, die wir übernommen hatten.

Ich erzählte ihm, warum ich noch nicht hatte flüchten können. Er sagte mir, daß für alle Volksdeutschen in Jugoslawien eine Regelung getroffen worden war, daß wir das Land verlassen müssen und bis es so weit wäre, könnten wir in seinem Hause bleiben. Es wird, sagte er, kein schöner Weg sein und er glaube nicht, daß ich die Kinder lebend durchbringen würde. Einen Rat könne er mir aber geben: "Gehen sie keinesfalls nach Kocevje !"

Einige Tage später kam der neue Bürgermeister, genannt der Kommissar, mit einem weiblichen Offizier der Partisanen, mir zu sagen, daß ich in zwei Stunden fertig zu sein hätte, um ins Lager zu gehen. Die Frau war bildschön, aber von einem unerbittlichen Haß besessen, 5 kg könne ich pro Person mitnehmen. Ich fragte, ob ich den Kinderwagen auch mitnehmen könne oder ob der auch gewogen würde. Sie erlaubte großzügig und zugleich zynisch, den Kinderwagen zuzüglich der 5 kg mitzunehmen. Ich sagte, daß ich in zwei Stunden nicht packen könnte. Ich brauchte noch Dauergebäck für die Kinder und mußte mir genau überlegen, was ich am dringendsten benötigte. Wir standen zusammen auf und sahen uns in die Augen. Sie befahl mir rechtzeitig fertig zu sein, jetzt wäre 12:00 Uhr und um 14:00 Uhr wäre meine Zeit um:"Auge um Auge, Zahn um Zahn, und alles was nur so viel deutsch ist, was schwarz unter dem Nagel ist, muß aus Jugoslawien hinaus".

Der Kommissar sagte zu ihr: "Tovaraschina, sie war eine Ehrliche, kannst du ihr nicht bis morgen Früh Zeit lassen?"
Sie machte kehrt, sagte nein und ging. Ich hatte nicht gebettelt und hatte meine Augen nicht gesenkt. Vor der Türe standen sie lange. Er sprach, wie ich beobachten konnte, heftig auf sie ein. Plötzlich kam er herein und sagte: "Ich habe für dich erreicht, daß du erst morgen Früh um 7:00 Uhr gehen mußt."

Ich konnte nun zufrieden sein, denn unsere Nachbarn - Slowenen, die auf deutscher Seite waren - hatten sich nach 8 Tagen Marterns ihr Grab selber schaufeln müssen, bevor man sie erschoß.

Ganz genau überlegte ich nun, was ich unbedingt brauchte, für zwei so kleine Kinder konnte ich an mich nicht denken. Was ich für mich mitnahm, hatte ich alles auf meinem Leib: 4 Hosen, 4 Hemden, 4 Unterröcke, 4 Kleider, 1 Weste und 1 Mantel. In den Kinderwagen tat ich einiges auch für meinen Mann, anstatt eines Polsters.

Als wir nun in das Lager wollten, wies man uns ab. Wir würden nicht in das Lager gehören. Jeder müsse dort hingehen, wo er hergekommen sei, und zwar in seine Heimat. Das war unser Unglück; denn nun wußten wir nicht wohin. Die zwei kleinen Pferde und den Wagen hatten wir, aber kein Dach über dem Kopf. Die Partisanen, die überall Wache standen sagten, wir müßten in die Heimat. Ich dachte wohl an die Mahnung Antlogas, der als Hauptmann der Partisanen sicher wußte, was ich nicht tun sollte, aber seitdem wir aus dem Haus ausgezogen waren, waren wir schutz- und hilflos. So fuhren wir nach Gottschee.

Vier Jahre hatten wir die Stadt nicht gesehen - Verwüstung überall, wenig Menschen. Die Leute fragten, wo wir herkämen. Als wir sagten, daß wir Gottscheer sind, begrüßten sie uns und sagten, wie froh sie wären, wenn die Gottscheer wieder zurückkämen. Da erblickte uns ein Partisan, ging auf uns zu und fragte, von wo wir gekommen sind. Er führte uns auf die Wache. Dort lag eine Liste der Gottscheer, die gesucht wurden auf. Zwar waren wir nicht unter den gesuchten, aber eingesperrt wurden wir trotzdem. Ungefähr 8 Tage waren wir mit ungefähr 10 anderen Gottscheern im Hause "Saijovic". In der Frühe bekamen wir schwarzen Kaffee ohne Zucker und Brot aus verdorbenem Mehl. Mittags und Abends gab es Reis oder Gerstenbrei, alles aus verdorbenem Korn. Es brannte wie eine Beize auf der Zunge und im Magen. Einmal schaute mich der Wachmann, der das Essen brachte, mitleidig an und sagte: "Bitte glaubt mir, wir würden euch etwas anderes geben, aber wir haben selbst nur verdorbenes Essen." Ich weiß nicht, ob das gestimmt hat. Für meine Tochter Hermine hatten wir noch etwas Kekse und Josef stillte ich. Dadurch, daß ich fast den ganzen Tag in Ruhestellung war, hatte ich ausreichend Milch zum Stillen. Unser Gepäck nahmen sie uns nicht ab, nur die Pferde und den Wagen.


Gottschee / Kocevje

Nach 8 Tagen brachten sie uns mit den anderen mit dem Zug nach St. Veit bei Laibach. War die Fahrt die ca.
6 Stunden dauerte eine Tortur, so erwartete uns nach der Zugfahrt noch schlimmeres. Wir hatten noch immer einige Kekse und ein Stück Geräuchertes in unserem Gepäck, von dem wir der Kleinen geben konnten, wenn sie vor Hunger weinte, aber wir hatten nichts zum Trinken. Josef stillte ich in Abständen, wenn er weinte. Dann nahm ich die weinende Hermine in den Arm. Sie hatte Durst. Wenn sie vor Ermattung einschlummerte, traute ich mich nicht zu bewegen, weil sie sonst sofort aufwachte. Meine Arme fühlten sich an wie Holzklöße. Mit übermenschlicher
Kraft hielt ich aus. Ich fragte die Menschen, ob nicht jemand ein Schlückchen Wasser hatte für mein Kind. Ein junger Mann gab ihr aus seiner Flasche. Zwar war der Durst nicht gestillt, aber sie schlief ermattet etwas fester ein, so daß ich sie wenigstens im Schoß liegen lassen konnte. Meine Schwiegermutter wollte mich entlasten, aber die Kleine wollte nicht weg von mir.

Vom Bahnhof mußten wir zu Fuß nach St. Veit gehen. Auf einmal brach ein Rad des Kinderwagens. Jetzt war es für mich ganz aus. Ich mußte mein Mädchen und das Gepäck tragen. Mit einer Hand hob ich den Wagen an der Seite, wo das Rad kaputt war. Die Anstrengung war zu groß, da ich mich von den letzten Jahren noch nicht erholt hatte. Plötzlich gab es mir einen Stich in die Brust und in den Rücken. Das Gepäck und Hermine rutschten mir herunter. Ich konnte mich nicht mehr rühren und glaubte, zusammenfallen zu müssen. Der uns begleitende ältere Partisan schaute mich an, nahm das Kind auf seinen Arm und befahl einem Mitgefangenen, mein Gepäck in die Halle des nur noch 50 Meter entfernten Schlosses oder Kaserne zu tragen. Frei von jeder Last war es mir möglich, die Strecke zu überwinden. Josef schlief im Wagen und Hermine stand verschüchtert neben mir, unser Gepäck wurde auf den Boden geschüttet. Ein junger Partisan nahm Stück für Stück, auch die Sachen meiner Schwiegereltern in die Hand. Was er für gut hielt, nahm er uns weg. Da mein Gepäck fast nur aus Kindersachen bestand, ließ er mir fast alles. Er fragte fast immer: "Brauchst du das für das Kind?" Wenn ich bejahte, legte er es zu den Sachen, die er mir nicht wegnahm. Nur einmal konnte er nicht widerstehen. Es war ein Stück Feinseife, die man untern Krieg nur für
Kleinkinder zugeteilt bekam. Er ließ sie in seiner Hosentasche verschwinden.

Ein älterer Offizier, der das alles beobachtet hatte, trat auf mich zu und fragte wo ich herkomme. Ich sagte, daß Gottschee meine Heimat sei. Warum fragte er, hast du deine Heimat verlassen. Ich sagte ihm wie es gewesen war und auch, daß wir nicht wußten wohin wir umgesiedelt werden sollten. Da sagte er "ich weiß es Genossin, es ist sehr schade, auf euren Äckern wächst das Gras.

Ich hatte das Gefühl, einen guten Menschen vor mir zu haben, seine Worte begleiteten mein Leben. Später wurden wir in den 2. Stock geführt - Männer und Frauen getrennt. 20 Frauen waren wir in einem ca. 10 qm großen Raum. Kinder waren außer den meinen keine. Wenn wir uns hinlegen wollten, mußten wir die Beine übereinander legen, weil sonst für den Oberkörper nicht genug Platz gewesen wäre. Die meisten hatten nur was sie auf dem Leibe trugen. Mir nahmen ein Partisan und eine Partisanin nächsten Morgen noch alles was mir bei der Einweisung geblieben war ab.

Der Raum hatte nur die kahlen 4 Wände, 1 Tür und 1 Fenster. Die Tür war zugesperrt und davor stand ein Wachsoldat. Um ca. 12 - 14 Uhr sperrte er auf, um uns das Essen geben zu lassen. Ein paar Männer trugen einen Kessel voll gekochter Rübenschnitzel, ohne Salz, Fett oder Mehl vor die Tür und gaben jedem Gefangenen einen Schöpflöffel davon. Um Mitternacht gab es noch einmal das Gleiche. Unterm Krieg hatte man damit die Pferde gefüttert. Außer diesen 2 Kellen gab es nichts, nichts, nichts. Wir durften nicht reden oder was fragen.

2 x täglich durften wir in bewaffneter Begleitung zur Toilette. Täglich wurden neue Gefangene herein getrieben, ganze Kolonnen ausgemergelter Männer in Uniformen. Sie wurden unten in den ehemaligen Ställen zusammen geschlagen. Wir hörten nicht nur das Wimmern und Schreien, sondern auch die Schläge durch die Tür. Samstag und Sonntag wurde die Umgebung abgesperrt, die Toten auf Lastwagen verladen und weggefahren. Eine Frau wurde von einem Partisanen in den Kopf geschossen, weil er bemerkt hatte, wie sie aus dem Fenster schaute. Welche Verzweiflung.

Den dritten Tag hatte ich für meine Kinder noch nichts zum Essen bekommen. Die Kekse waren fast alle und die Milch für Josef zu wenig. Wieder jagte uns der Partisan auf die Toilette. Da stand an die Wand gelehnt der Offizier, der in der Halle zu mir gesagt hatte: "Auf euren Äckern wächst das Gras...") und schaute sich das an. Ich ging aus der Reihe auf ihn zu. Sofort wollte mich der Wachmann mit dem Gewehrkolben schlagen. Der Offizier wehrte ihn ab. "Laß sie", sagte er, "geh mit den Leuten weiter". Zu mir gewandt sagte er: "Was willst du Tovaraschiza?" Ich bat, uns zu erschießen. Er wollte wissen warum. "Weil erschießen gnädiger ist, als verhungern. Heute bin ich den dritten Tag hier und meine Kinder haben noch nicht einmal zu essen bekommen. Auch kann ich keine Windeln waschen." "Du hast noch nichts bekommen?", wunderte er sich. Dann schaute er mich ganz väterlich an und sagte: "Sei nicht traurig, das hier dauert nicht lange. Ich werde dir eine Rotkreuzschwester schicken, die das mit deinen Kindern in Ordnung bringt. Du kommst, wenn das vorbei ist nach Deutschland und dort wirst du einen neuen Anfang finden. Unseren Leuten wird es schlechter gehen denn die bleiben hier, mit diesen werden wir abrechnen. Jetzt geh und schließ dich deiner Gruppe wieder an."

Als ich 15 Minuten später wieder im Zimmer war, ging die Türe auf und eine Schwester kam herein. Sie brachte für jedes der Kinder etwas Grießbrei mit Marmelade. Mir gab sie einen Schein, der mich berechtigte, für meine Hermine jeden Morgen um 7 Uhr in der Küche 1/4 Liter Kaffee und 1 Stück Brot zu holen. Außerdem bekam ich die Erlaubnis, auf der Toilette, wo auch Handwaschbecken waren, die Windeln zu waschen.


Hermine 6 Monate alt

Nun war es etwas besser. Zwar konnte Josef den Eßlöffel Brei, den er zweimal täglich bekam nicht essen, aber Hermine, die ja mit dem Kaffee und Brot nicht auskam, konnte von Josefs Anteil etwas essen und den Rest aß ich, so daß ich wieder etwas stillen konnte. Hermine wollte in der Frühe auch immer mit in die Küche und weinte, wenn sie nicht mitkommen durfte. Um nicht zuviel von ihren Kräften zu verschleißen, nahm ich sie mit. Aber die Füße taten ihr schon weh vor Schwäche. Ich mußte sie tragen. Mir aber tat die Brust weh, wenn ich sie trug. Ich konnte nicht durchatmen und meine Arme wurden gefühllos. So quälten wir uns halt jeden Tag die zwei Stockwerke hinunter in die Küche.

An jeder Ecke standen Partisanen Wache. Eines Tages winkte mich einer zu sich, zog eine Rinde Brot aus seiner Tasche und gab sie Hermine. Tränen standen in seinen Augen als er sagte: "Ich habe auch eine sehr kleine Zuteilung, aber ich bin schrecklich traurig, wenn ich sehe, für was ich vier Jahre im Wald gekämpft habe. Wie schrecklich, daß ich für die Freiheit gekämpft habe und jetzt muß ich sehen, daß nicht nur Frauen, sondern auch Kinder eingesperrt sind. Komm jeden Tag her, wenn dich niemand sieht, damit ich deinem Kind von meiner Ration Brot ein Stückchen geben kann." So war es dann auch, bis wir 14 Tage später nach Sterntal bei Pettau kamen.

Es hieß, wir kommen in ein Lager, in welchem wir an die Luft gehen könnten und auch mehr zum Essen bekommen würden. Ohne Proviant fuhren sie uns zwei Tage umeinander, obwohl Sterntal nur ca. 60 km entfernt war. Es war die Taktik, die Menschen zugrunde zu richten, Kinder weinten und auch die Erwachsenen, Hunger tut weh !


Vernichtungslager Sterntal / Kidricevo bei Pettau / Ptuj

Als wir im Lager ankamen, gaben sie den Kindern sofort zu essen. Die Erwachsenen wurden wieder getrennt - Männer und Frauen - untergebracht. Die Lagerverordnung wurde uns verlesen. In jeder Baracke war eine sogenannte Älteste. Das war nicht wirklich die Älteste, sondern die Person, die etwas zu sagen hatte. Sie wurde von den Partisanen benannt. Jede Nacht hatte jemand anders Wache zu stehen. Niemand durfte aufstehen, auch nicht, wenn die Kinder weinten. Jede Frau, die zum Fenster hinaussehen würde, würde sofort erschossen. Wir waren am Boden zerstört. Nächsten Morgen - vielmehr schon in der Nacht - wußten wir, warum man diese Verordnung getroffen hatte. Sie wollten keine Zeugen für die schrecklichen Verbrechen, die sie bei jedem eintreffenden Transport an den Männern begingen. Da die Baracken keine Fenster und Türen hatten, hörten wir durch die Öffnungen, wiewohl wir flach am Boden liegen mußten, was geschah. Doch niemand traute sich am nächsten Tag darüber zu reden.

Um 12 Uhr Nachts schrie draußen bei den Männerbaracken ein Partisan auf einmal auf slowenisch mehrmals hintereinander "Halt", "Stoy", "da will einer flüchten!". Er schoß - an den Stimmen hörte ich, daß es viele Menschen waren. Dann gaben sie Befehl "alle Mann aus den Baracken heraus !". "Antreten und auf und nieder und Marsch, Marsch und wieder auf und nieder."

Es waren keine Männer im militärfähigen Alter dabei. Alle waren über 60, wie mein Schwiegervater, Behinderte oder Knaben, ausgehungert und schwach von St. Veit, blieben manche liegen. Die nicht mehr aufstehen konnten, erschlugen sie am Boden. 28 von 50 waren tot. Im Morgengrauen wurden sie wie Holzklötze hinausgefahren. Mein Schwiegervater lebte noch. Er hatte Beulen am Kopf. Wir sahen ihn, aber reden durften wir nicht mit ihm. Vormittags mußten wir uns in 4er-Reihen aufstellen und im Schrittmarsch sinkend zum Essenholen gehen. Stundenlang warteten wir auf ungefähr 30 Gramm Brot und etwas warmes Wasser. Mittags dasselbe für Bohnen in Wasser gekocht - ohne Salz und Fett - und Abends noch einmal dasselbe. Die ersten waren noch gut dran, sie bekamen noch eine Bohnensuppe, aber wenn der Kessel zur Hälfte leer war, dann wurde Wasser nachgeschüttet und das so lange, daß von 5 Kesseln ca. 9000 Menschen gegessen hatten: 5 - 7 Bohnen und Wasser.

 
Impfzettel; VS / RS, Vernichtungslager Sterntal


Wir hatten Mitte Juni. Es war warm und die Fliegen bedeckten den schmutzigen Boden zur Gänze. In der Nacht war er rot von Wanzen. Die Kleider waren besonders bei den Männern übersäht mit Läusen. An den Nähten hockten sie aufeinander. Wir Frauen suchten den ganzen Tag danach, damit wir nicht ganz aufgefressen wurden. Die Kinder bekamen etwas mehr Maisbrot und schwarzen Kaffee. Für Babys gab es überhaupt nichts, keinen Brei und keine Milch.

Eines Tages, es waren schon unzählige Lagerinsassen gestorben, hieß es, ein Partisan sei krank geworden, eine Seuche sei ausgebrochen. Ein paar Tage später bekam meine Tochter Hermine hohes Fieber. Sie bat um den Arzt. Zwei Schwestern und ein Arzt aus den Reihen der Gefangenen hatten eine Ambulanz eingerichtet. Das Lager war zur besseren Beaufsichtigung und Kontrolle unterteilt. Jede Abteilung hatte als Sicherheitsvorkehrungen Stacheldrahtzäune und Wachen. Das ganze Lager war mit einem ca. 4 Meter hohen Drahtzaun, einem breiten Stacheldrahtverhau, einem Elektrograben und Wachen in Wachtürmen und Gräben gesichert.

Nun wollte ich in die andere Abteilung, wo sich die Ambulanz befand. Normalerweise wäre ich niemals durchgekommen, aber mit dem kranken Kinde auf dem Arm und dank meiner Sprachkenntnisse ließ mich der Partisan durch. Der Arzt schaute das Kind an und sagte: "Liebe Frau, ich kann ihnen nicht helfen. Es ist nicht ein Seuche, sondern gleich mehrere, vor allem Hungertyphus. Wir haben ja gar nichts - keine Medikamente, nicht einmal Tee. Von Eichenrinde haben wir Tee gekocht, davon bekommen sie jeden Tag etwas, damit das Kind nicht direkt austrocknet." Jeden Tag bekamen wir nun ein kleines Schüsserl, denn wir hatten ja auch kein Wasser. Ja, es fällt mir sehr schwer, überhaupt darüber zu schreiben, denn die Tränen benetzen das Papier. Aber dies war erst der Anfang des Kreuzweges.

Wieder in der Baracke bettete ich die Kleine auf meine Decke. Ich legte mich nebendran auf den Fußboden. Bisher waren wir beide auf der Decke gelegen und Josef im Wagen. Da wir in der Nacht kein Licht hatten, mußte ich im Finstern Hermines Mund ertasten, um ihr den Tee, den ich der Temperatur wegen auf der Brust trug, einflößen zu können. Die Ration Essen, die ihr zustand, konnte sie nicht mehr zu sich nehmen. Ich teilte es mit meiner Schwiegermutter, die mir bei der Pflege half. Die Fliegen wollten sich immer auf das Kind setzen, es war ständig nötig, zu wehren. Ich legte ein leichtes Tuch über seinen Kopf, wenn wir zum Essen holen gingen, damit es etwas geschützt war.

Oft ließen uns die Partisanen eine Stunde vor den Baracken stehen. Wer nicht selber das Essen abholte, bekam nichts. In 4er-Reihen mußten wir marschieren und singen. Wer nicht sang, bekam nichts. Ich blieb so lange bei den Kindern bis sich der Zug in Bewegung setzte. Wenn der Partisan nicht hersah, sprang ich zum Fenster hinaus und reihte mich ein. So dauerte es nicht ganz so lang bis ich wieder bei den Kindern war.

Nach 10 Tagen war meine Hermine vollkommen ausgezehrt. Die Haut überspannte nur noch die Knochen.

Vom 26. auf 27. Juli 1945 träumte ich in der Nacht von einem lebensgroßen Christusbild in schönen Farben. An der rechten Seite von Jesus waren Kindernamen aufgeschrieben, die gestorben waren. Plötzlich bückte sich Jesus und schrieb noch einen Namen dazu. Ich wachte auf und erschrak. Mir wurde gewiß, daß das Kind sterben würde. Ich flößte ihr Tee ein und sie schlummerte wieder ein. Nun träumte ich noch einmal dasselbe. Ich wachte auf und dachte an Josef, aber ich schob diesen Gedanken weit von mir denn Josef stillte ich und er hatte keine Anzeichen einer Erkrankung. So hart, dachte ich, kann mich der Herrgott nicht strafen. Ich sollte mich irren. Nächsten Tag starb Hermine. Zwei Männer trugen sie in einem rohen Kistchen hinaus und ich wußte nicht einmal wohin.

 

Sterbezettel für Hermine, ausgestellt im Vernichtungslager Sterntal

Ich hatte mich noch nicht im geringsten erholt, als 8 Tage später mein Buberl mir nur unruhig mit der Hand über meine Brust fuhr. Zwar saugte er, aber so schwach, daß ich merkte, daß er überhaupt keine Milch absog. Ich rannte förmlich wieder zu dem Arzt und berichtete ihm meine Beobachtung. Er schaute mich mitleidig an und sagte, daß das Kind krank sei. Alles, was ich tun könne, wäre die Milch abzudrücken und ihm einzuflößen. Ich flehte ihn an zu helfen, daß das Kind nicht stirbt. "Kann ich denn nirgendwoher Hilfe bekommen?". "Bei uns nicht," sagte er, "wir haben nichts und bekommen nichts." Es sterben täglich Hunderte von Menschen. Die Mittel hat nur der Partisanenarzt und da können wir nicht hin."

Ich fragte ihn, in welcher Abteilung dieser Arzt wäre. Er zeigte mir die Richtung und sagte auch gleich, daß es keinen Zweck hätte, ich würde mich selbst in Lebensgefahr begeben. Das war mir gleich. Ohne das Kind machte ich mich auf den Weg. Bei der ersten Sperre drohte mir der wachhabende Partisan mit dem Bunker, wenn ich nicht sofort zurückginge. Zur Bekräftigung hielt er das Gewehr zum Zuschlagen hoch. Ich sagte: "Geh mir aus dem Weg, ich gehe zum Arzt für mein Kind. Es ist mein letztes, das andere habt ihr schon begraben. Also geh' mir aus dem Wege. Er erschrak sichtlich, senkte sein Gewehr und trat zur Seite. Vor der Kommandantur war es schlimmer. Sie wollten mich nicht hineinlassen, bis der Arzt draußen den Trubel hörte. Nun trat er in die Türe, winkte die anderen ab und hieß mich hinein. "Was willst du, Tovaraschiza ?"

Hier muß ich noch erwähnen, daß die Offiziere immer Genossin (Tovaraschiza) und die Soldaten immer "Ustascha" zu uns sagten.

Ich erklärte ihm, daß mein Mädchen vor 8 Tagen mit zweieinhalb Jahren gestorben ist und mein Bub und letztes Kind mit sechs Monaten krank geworden ist und bat um Hilfe. Er sagte: "Ja, weißt du nicht, daß du bei mir nicht an der richtigen Stelle bist, ihr habt euren eigenen Arzt." "Ein Arzt ohne Medikamente", sagte ich, "ist nur eine Blende für die Menschen. Ist nicht der Arzt verpflichtet zu helfen, ob Feind oder Freund." Tun sie bitte ihre Pflicht, die sie gelobt haben." Nach diesen Worten war er wie umgewandelt." "Wie alt, sagtest du, ist dein Kind?" "Sechs Monate", sagte ich, "Genossin", meinte er, "ich kann dir nicht helfen, weil das Kind zu klein ist." Wäre es vor acht Tagen gestorben und das ältere noch am Leben, würde ich dieses in das Krankenhaus nach Marburg bringen und es würde wieder gesund werden. So aber ist es besser, du laßt dein Kind bei dir sterben. Ich gebe dir einige Tabletten. Es ist keine Hilfe, aber eine Erleichterung. Du bist jung und wirst wieder Kinder haben."

Es war mir kein Trost, im Gegenteil, ich war zu Tode gekränkt, ich nahm die Tabletten und ging. 14 Tage hat mein Kind gelitten, vier Tage war es nicht tot und nicht lebendig, so daß ich am 15. August auf meine Knie fiel und zur Maria Muttergottes betete, sie möge mein Kind erlösen von seinen Qualen. Noch während ich betete, ging sein Atem immer ruhiger und leiser, bis er ganz ausblieb.


Sterbezettel (Kopie) für Josef

Ich blieb wie versteinert bei ihm sitzen. Wieder kamen die Männer und wollten es holen. Sie mußten sich vor Schreck hinsetzen als sie das Kind sahen. Sie wollten es in das Kistchen legen, aber ich konnte es nicht anfassen lassen. Ich hob es selbst in das Kistchen. Ein unbeschreiblicher Schmerz nahm Besitz von mir. Wie ein wundes Tier suchte ich den Menschen aus dem Wege zu gehen. Mit 24 Jahren war ich so gebrochen, daß die Menschen über mich hinweggehen hätten können wie über einen Zweig oder Stein, der auf dem Wege lag. Inzwischen war auch mein Schwiegervater an Hungertyphus erkrankt. Die strengen Trennungsmaßnahmen waren etwas gelockert worden, so daß wir Kontakt mit ihm aufnehmen konnten. Wieder war ich beim Partisanenarzt gewesen und hatte um Hilfe gebeten. Er aber sagte nur, daß seine Macht zwar noch ausgereicht hätte, ein Kind in das Krankenhaus einzuliefern, für einen Erwachsenen dies aber ausgeschlossen sei. Das einzige was er tun könne wäre, dem Vater Diätkost zu geben. So holte meine Schwiegermutter einige Wochen Krankenkost in der Partisanenküche, aber es half nichts. Vater starb qualvoll am 7. September.

Ich muß jetzt einige Wochen zurückgreifen. In unserer Baracke war auch eine Gottscheerin mit Namen Rack aus Rieg. Sie war mit einer Gruppe und ihren vier Kindern schwanger von Österreich nach Ungarn und von dort nach Jugoslawien geirrt, weil sie keine Bleibe fanden. Zwei ihrer Kinder, ungefähr 9 und 10 Jahre alt, waren total unterernährt, aber sie konnten noch laufen und waren auch im Gesicht noch Kindern gleich. Die beiden anderen Kinder, die 2 und 4 Jahre alt waren, hatten Ruhr. Unter der Haut zeichnete sich jeder Knochen ab und die Köpfe sahen so aus, wie man sie von Dachau kennt. Den ganzen Tag reinigte, fütterte und trug die Frau die Kinder ohne Unterbrechung. Sie starben nicht, aber der Schmerz die Kinder so zu sehen, war für die Mutter wahrscheinlich auch nicht geringer als ich ihn empfunden hatte. Das fünfte Kind hatte sie im Lager entbunden. Es war gesund.

Ich hatte schon erwähnt, daß jede Nacht eine andere Frau Wache zu stehen hatte. Bei einer Kontrolle hatten wir wie beim Militär Meldung zu machen. In der darauffolgenden Nacht des 15. August als Josef gestorben war, hätte eine ältere Frau Wache stehen müssen. Da sie Angst hatte, bot ich ihr an für sie zu wachen. Plötzlich - um Mitternacht - hörte ich, wie sich jemand der Baracke näherte. Ich ging hinaus und sah zwei Offiziere. Beide ungefähr 25 - 27 Jahre alt. Ich salutierte und meldete nach Vorschrift wie viele Frauen, Kinder und Kranke sich in der Baracke befanden. Da winkte der eine ab und sagte, warum ich nicht ein Fenster aufmachte. "Was soll ich aufmachen", sagte ich, "wenn keine drin sind." Da wir kein Licht hatten, leuchtete er mit der Stablampe hinein und griff mit der Hand in die Öffnung. "Tatsächlich", sagte er, "kein Fenster. Was stinkt denn hier so?" "Schauen sie in die obere Ecke des Zimmers, dann werden sie es sehen." Er leuchtete in die Ecke wo Frau Rack mit ihren Kindern lag. Als sie die Kinder sahen, waren sie so erschrocken, daß sie ganz entsetzt zurückprallten. "Was ist denn das, wo sind die Kinder hergekommen?" wollte er wissen. "Ja",sagte ich, "habt ihr denn in der Freiheit schon einmal solche Kinder gesehen?" "Nein." "Was ist die Mutter für eine Landsmännin?" "Wie ich, eine Gottscheerin." "Spricht sie Slowenisch?" "Nein, sie ist ein Bäuerin und hatte keine Gelegenheit die Sprache zu erlernen." "Ja", sagte der eine - scheinbar fühlte er eine gewisse Erleichterung - "Ja, wir dürfen nie vergessen, was uns die Deutschen angetan haben."
Meine Antwort hierauf war: "Was die in vier Jahren nicht fertig gebracht haben, das habt ihr in vier Monaten fertig gebracht. Wiewohl ich niemandem was getan habe, habt ihr mein letztes Kind gestern irgendwo verscharrt. Mein Mädchen war zweieinhalb Jahre, mein Bub sechs Monate. Wenn ihr mir alles genommen hättet und mich nachts mit meinen Kindern über die Grenze gejagt hättet, ich wäre euch nicht böse gewesen. Aber, daß ihr mir meine Kinder ermordet habt, das vergesse ich euch nie !"

Ich hatte mit einer schlimmen Reaktion gerechnet, aber sie schauten sich nur an und einer meinte: "Sie sagt die Wahrheit." Zu mir gewandt sagte er: "Sage deiner Landsmännin, sie soll morgen in die Partisanenküche kommen, sie bekommt für ihre Kinder, was sie zum Essen brauchen."
So war es dann auch.
Da sie keinen Kinderwagen hatte, schenkte ich ihr meinen. Das lose Rad befestigte Herr Ernst Perz (Nagaschmiedesch). So konnte sie drei ihrer Kinder in den Wagen legen, als wir vom Lager in die Waggons verladen wurden, die uns nach Österreich bringen sollten. Nach einer Kontrolle, die angeblich von Engländern aufgrund einer Anzeige stattgefunden hatte, wurden nämlich die Jugoslawen aufgefordert die Gefangenen freizulassen oder auszuweisen. Für unsere Familie war diese Maßnahme zu spät gekommen, weil drei von fünf Personen bereits elend zugrunde gegangen waren. Beim ersten Transport kamen angeblich nur die Hälfte der Menschen lebend in Österreich an. Ich habe davon nur reden hören, kann also nicht sagen ob dies wirklich so war. Ungefähr 14 Tage ging kein Transport mehr weg, weil die Engländer angeblich Lebensmittel lieferten, damit wir in einigen Wochen transportfähig waren. Nun bekamen wir genügend zum Essen, Nudeln und Bohnen, dick eingekocht. Die Frühstücksuppe war besser und das Brot doppelt so groß.

 

Entlassungsschein, VS / RS, Vernichtungslager Sterntal

Die ersten Tage starben mehr Leute als sonst im Durchschnitt, dann aber wurde es besser. Es war am 20. September, als wir aufgerufen wurden auf den Abtransport zu warten. Als Gepäck hatte ich nur eine Decke und etwas von meinen Kindern, das ich als Andenken behalten wollte. Die anderen Kindersachen hatte ich Frau Rack gegeben. Es regnete in Strömen. Meine Schwiegermutter hatte einen Schirm, unter den ich mich auch unterstellen konnte. Wir hatten schon stundenlang gewartet. Im Lager gaben sie das Mittagessen aus. Wir waren hungrig und froren. Ich nahm unser Schüsselchen und versuchte in der Küche etwas für uns beide zu bekommen. Ich erhielt zwei Portionen. Endlich - am Nachmittag - wurden wir verladen - nach einer Liste. Obwohl man meine Schwiegermutter gleich nach mir aufgerufen hatte, kam sie in den nächsten Waggon, weil in unserem Waggon kein Platz mehr war. Die Waggons waren offen und total voll gestopft. Wir waren dem Regen ausgesetzt und standen dichtgedrängt. Als der Zug anfuhr, war ich schon total durchnäßt. Ich rutschte auf meine nasse Decke hinunter und blieb so liegen. Die Leute stiegen auf mir herum. Ich hörte noch, wie jemand sagte: "Passen sie doch etwas auf und treten sie nicht auf die Frau." Dann sagte ein Mann: "Ach was, die ist doch schon tot." Von da ab weiß ich nichts mehr. Am nächsten Tag zog mich ein Mädchen von Matzele aus dem Waggon und half mir zu einer Hauswand. Wir waren in Ungarn. Sie hatte das Brot, das in der Nacht ausgeteilt worden war, für mich in Empfang genommen, die gute Seele.

Jetzt schien die Sonne mit einiger Kraft an die Hauswand, meine Kleider trockneten. Aber sonst hatte ich außer dem Brot nichts mehr. Auf einmal kam mein Vater und mein Bruder. Sie waren auch beim selben Transport und hatten mich schon verzweifelt gesucht. Sie hatten eine Ecke im Waggon mit Stroh und Brettern windgeschützt eingerichtet. Nun war ich gerettet. Auch meine Schwiegermutter und eine alte Tante nahmen sie noch zu sich. Am dritten Tag kamen wir in Wien an. Viele Leute waren gestorben, manche haben den Verstand verloren in den Kohlenwaggons, ohne Schutz vor Wind und Wetter. Ich habe es gesehen.

3 Tage Fahrt von Pettau bei Marburg bis Wien. Wir wissen nicht wo man uns überall umher gefahren hat. Gott sah uns nicht mehr und der Sieger genoß die Rache die schon vorher bis ins Kleinste geplant war.

In Wien wurden wir an ein Lager in der Bräundelgasse gebracht. Zuerst bekamen wir etwas warmes zum Essen und dann wurden wir entlaust. Gott sei Dank!

14 Tage wartete ich auf meinen Mann, denn von den Lagern in Leibnitz und Kapfenberg waren schon Männer gekommen, die ihre Angehörigen suchten. Daß er gut nach Österreich gekommen war, wußte ich schon als ich noch in Hohenegg war, aber er kam nicht. Nun glaubte ich, daß er nach München gegangen war, weil ich ihm die Adresse von Bekannten gegeben hatte, wo wir uns treffen konnten, wenn wir uns verloren gingen. Ich ging nun einfach zum Zug und fuhr bis fast an die Grenze. Dort stieg ich aus und ging schwarz über die Grenze. Vor mir gingen drei Banater. Ich folgte ihnen. Es war schon finster als wir in Passau ankamen. Die Leute gingen in ein Lager. Ich folgte ihnen. Am nächsten Tag fuhr ich gleich nach München. Aber desto näher ich der Stadt kam, desto mehr wurde mir bewußt, daß ich so arm nicht zu meinen Bekannten kommen konnte. Sie hatten ja selbst nichts zum Essen. In Freising stieg ich daher aus dem Zug und ging in eine Gaststätte. Dort bekam ich ohne Karten ein Stammgericht, das aus Kartoffeln bestand. Anschließend ging ich auf das Meldeamt.

Im Lager Wien hatte ich eine ganz kleine Ausweiskarte, die auf Englisch ausgefüllt war, erhalten. Diese und ein Zettel den die Partisanen mit meinem Namen und Geburtsdatum ausgestellt hatten (den Zettel habe ich noch) waren meine einzigen Papiere. Denn Ausweise, Dokumente und Schreibmaterial jedem Gefangenen abzunehmen, war scheinbar das Hauptanliegen der Partisanen.
Auf dem Meldeamt in Freising sagte man mir, daß ich zur jugoslawischen Delegation gehen müsse und mir da eine Bestätigung geben lassen solle, daß ich wirklich aus Jugoslawien komme, weil man mir sonst keine Reisermarken geben könne.

Da ich keinen anderen Ausweg wußte, ging ich halt hin, ja sehr, sehr ungern. Als ich mein Anliegen vorgebracht hatte, fragten mich die anwesenden Damen und Herren ganz auf geregt: "Ja wie, sie kommen erst jetzt aus Jugoslawien, wie geht es unten usw. Mir wurde ganz übel vor Abneigung und Zorn und sagte, daß sie nicht so tun sollen als wüßten sie nicht warum ich hier bin, als wüßten sie nicht, daß seit Kriegsende hunderttausende Menschen umgebracht, gefoltert und in Lagern dem Hungertode preisgegeben sind.

Da nahm mich der Delegat bei den Schultern, drehte mich zur Wand und sagte: "Liebe Frau, bitte beruhigen sie sich, sie beschuldigen die Falschen ,sehen sie das Bild König Peters, wir sind die königliche Exilregierung und wenn wir die Wahlen die am 11. November in Jugoslawien stattfinden gewinnen, dann können wir alle wieder in die Heimat zurück, auch die Volksdeutschen wie sie."

Ich war sehr überrascht, hatte ich doch noch nie von einer derartigen Bewegung gehört. Ich wußte seitdem ich im Lager gewesen war, daß es mehrere Parteien in Jugoslawien gegeben hatte, auch daß schließlich die kommunistischen Partisanen als Sieger, das Land in Besitz nahmen, das hatte ich sogar noch miterlebt, doch von einer königlichen Exilregierung wußte ich nichts.

Ich sagte, daß die Königsanhänger diese Wahlen nie gewinnen können, dafür hat die Titoregierung gesorgt und tut es immer noch. Ich erzählte was ich gesehen hatte und daß kein Mensch den Mut hätte nach einem solchen Massaker frei zu wählen. Ich merkte, daß man mir nicht glaubte.

Der Delegat bot mir an mir behilflich zu sein, damit ich in ein Unra Lager kommen könne, ein solches befand sich in der Schlüterfabrik in Freising, doch ich wollte nicht in ein Lager, ich wollte arbeiten und das Geschehene überwinden und auch meinen Mann versuchen zu finden.

Der Bürovorsteher warnte mich und sagte, daß ich nur in der Landwirtschaft Arbeit finden würde, für diese aber nichts erhalten würde und doch so notwendig etwas zum Anziehen bräuchte.

Ich nahm meine Karten und ging trotzdem einfach auf der Straße von Freising hinaus aufs Land. Plötzlich kam ein
Wagen. Er fuhr langsam neben mir her. Der Fahrer fragte mich wo ich hin wollte. "Das weiß ich nicht", sagte ich.
"Ja, wo kommen sie denn her?" "Aus Jugoslawien." "Ich komme aus Schlesien und bin schon einige Monate hier. Setzen sie sich auf den Wagen. Sehen sie, die Turmspitze? Das Dorf heißt Wippenhausen. Der Wirt in dem Dorf ist ein großer Bauer. Er hat vielleicht Arbeit für sie."

Der Mann bog dann bald in den Wald ab, und ich tat, wie er mich geheißen hatte. Der Wirt nahm mich in Dienste als
Hausel, also als dritte Magd. Ich hatte nun zu Essen und zum ersten Mal seit vielen Monaten konnte ich wieder in einem Bett schlafen. Von der Bäuerin bekam ich ein altes Kleid und einen Schurz aus Rupfen und Holzschuhe. Alles wäre so gut gewesen, wenn ich nicht schreckliche Schmerzen in den Händen gehabt hätte. Bei meinen Bekannten in München war ich inzwischen auch schon gewesen, doch mein Mann hatte sich noch nicht gemeldet.

Die Schmerzen in meinen Armen wurden immer schlimmer. Eines Tages, ich war nun bald zwei Monate bei den Wirtsleuten gewesen, als ich beim Dreschen und Strohaufheben plötzlich einen brennenden Schmerz in meiner Brust und im Rücken spürte. Wieder wäre ich fast - wie in St. Veit - umgefallen. Ich konnte meinen Kopf nicht mehr aufrecht heben und die Hände nicht mehr heben, sondern nur noch waagrecht ausstrecken. Ich wurde in das Krankenhaus gebracht mit der Diagnose, zwei Dornfortsätze und einen Wirbelbogen gebrochen. Zwei Monate mußte ich nun flach liegen, dann war die Fraktur geheilt, aber schwere Arbeiten sollte ich nicht mehr verrichten, zumindest im nächsten halben Jahr nicht.

Ja, was nun?
Ich wußte jetzt, was damals in St. Veit passiert war. Durch die übermenschliche Anstrengung hatte ich mir die Wirbelfraktur zugezogen, die durch das viele Liegen am blanken Boden nicht schlimmer geworden war.

Jetzt war ich krank, hatte kein Dach mehr über dem Kopf, bekam täglich 1,- DM Krankengeld und besaß keine Kleider. Ich erinnerte mich an das Angebot des Bürovorstehers in der jugoslawischen Delegation, daß ich zu ihm kommen könnte, wenn ich in Not wäre. Nachdem ich in München meinen jugoslawischen Paß bekommen hatte, empfahl er mir ein Lager in Freising (Unra Lager), in welchem Polen untergebracht waren. Dort würde ich zu Essen und Kleider bekommen. Ich hatte Bedenken, da ich doch Volksdeutsche war. Er aber meinte, daß mich niemand fragen würde ob ich aus Kroatien, Slowenien oder Serbien käme oder Volksdeutsche wäre. Auf die Frage nach meiner Nationalität sollte ich einfach mit Jugoslawien antworten. Er sagte ich könne nichts anderes tun da ich Hilfe bräuchte. Es spielte sich dann tatsächlich auch alles so ab. Zwei Monate später arbeitete ich bereits in der Küche und 8 Tage darauf war ich zweite Köchin. Ich hatte die Küche zu beaufsichtigen, die Arbeiten der Mädchen die alle Polinnen waren, einzuteilen und das Essen abzuschmecken. Schwere Arbeiten brauchte ich nicht zu verrichten. Ein paarmal wurden wir kontrolliert, um auszuschließen, daß sich Unberechtigte im Lager aufhielten, da es nur für verschleppte und politisch verfolgte Personen eingerichtet worden war.

Ich sagte zwar jedesmal die Wahrheit, blieb aber trotzdem im Lager, während mancher Pole hinaus verwiesen wurde. Mir war nicht recht wohl in meiner Haut. Inzwischen hatte ich erfahren, daß es ein Flüchtlingslager in Freising gab. Also ging ich eines Tages hin und erzählte dem Flüchtlingskommissar, wie ich in das Lager gekommen war und daß ich wieder heraus wollte. "Sind sie denn wahnsinng!", sagte er, "wir können ihnen doch nichts geben, bleiben sie ja drin ! Sie sind die Einzige, die dieses Brot dort zurecht ißt. Sollte es einmal herauskommen, daß sie Deutsche sind, ist es immer noch Zeit, zu mir zu kommen."

Im Juni 1946 kam dann mein Mann von Österreich. Da er nicht Bescheid wußte, sagte er im Büro des Lagers, daß wir Volksdeutsche sind. Zwei Tage gewährte man mir noch Gastfreundschaft, wie mir der Höchste von der Unra sagte. Vom Flüchtlingskommissar bekamen wir sofort ein Zimmer bei einem Bauern vermittelt, in Neufahrn bei Freising. Mein Mann fand Arbeit bei der Bahn in München-Freimann, und ich half dem Bauern auf dem Felde. Wohl hatte ich Schmerzen im Rücken vom Unfall, aber nur von den Lebensmittelmarken konnten wir nicht leben. Das Meiste das ich vom Bauern bekam, gab ich meinem Mann, damit er nicht hungern mußte.

1947 wurde ich schwanger. Nun konnte ich meinem Mann nicht mehr so viel geben, weil ich sonst zu schwach zum Arbeiten gewesen wäre. Hungrig brauchten wir trotzdem nicht zu sein, weil ich Kartoffel frei holen konnte aus dem Keller des Bauern. Außerdem bekamen wir noch jeden Tag 1 Liter Milch, im Jahr einen Zentner Weizen und mehr als einen Zentner habe ich ährengelesen nach der Ernte. Im ganzen Ort waren wir beliebt, weil uns unsere Bauersleute überall lobten.

Als ich am 3. Dezember 1947 unseren Walter gebar, half mir die Bäuerin mit Essen und Arbeit aus. Einen Kinderwagen bekam ich vom Wirt in Wippenhausen, bei dem ich anfangs gearbeitet hatte und Babysachen sowie Kleider für mich und auch etwas für meinen Mann hat mir meine Patin Regina Fleckenstein und meine Freundin Anna Meditz, geb. Kikel, aus Weißenstein aus Cleveland geschickt. Alle hatten damals mit der Unterstützung ihrer eigenen Verwandten genug Last und doch halfen mir die beiden auch. Gott lohne es ihnen.

Mein Mann hatte bei seiner Arbeit einen Freund gefunden, einen Münchner der uns wohlgesinnt war. Durch ihn erfuhren wir, daß auf dem Schießplatz in München- Freimann Parzellen mit ungefähr 500 qm eingeteilt wurden und Interessenten als Gartenland überlassen wurde. So kam mein Mann eines Tages und sagte, daß sein Freund Weigl ein solches Grundstück erhalten habe und wir gemeinsam ein Behelfsheim darauf bauen könnten. Herr Weigl war der Meinung, daß es für uns in jeden Fall besser sei als in Neufahrn in dem schlechten Zimmer und so weitab vom Arbeitsplatz, auch wenn wir uns um einen eigenen Platz bemühen und auf diesem einen ausrangierten Waggon stellen würden, wäre es besser als da unten zu bleiben.

Ich war dafür daß wir uns um einen Platz bewarben, doch mit jemanden zusammen bauen oder einen Waggon aufstellen, nein das mochte ich nicht. Hauptsache wir hatten einen Platz, wenn auch nur gepachtet, das andere würde die Zeit bringen. Mit der Währungsreform brachte mein Mann Geld, mit dem man auch was kaufen konnte, ich arbeitete weiterhin bei unserem Bauern und brauchte deswegen weit nicht so viel Geld als die meisten anderen Leute, nämlich nur 51 DM. mtl. Mit unserem Kopfgeld bei der Währungsreform kauften wir Zement. Gab es einmal etwas günstig zu kaufen, so zum Beispiel die Dachplatten die der Händler durch einen Großeinkauf billiger verkaufen konnte, liehen mir die Bauersleute das Geld damit ich auch da mithalten konnte. Die Jahre die ich ohne Bezahlung, (auch noch nach der Währung) arbeitete, machten sich auf diese Weise bezahlt. Ostern 1949 erstellten wir den Rohbau für das nur 6 Meter lange Häusl und im Oktober zogen wir ein. Zwei Zimmer waren verputzt, jedes hatte 1 Fenster und 1 Tür, doch alles andere fehlte. Da wir nun am Platze waren konnten wir besser arbeiten. Mein Mann machte Mithilfe des in Wippenhausen gekauften Holzes und einer Baracke vom Huber provisorische Böden, Treppen und Türen. Später würden wir alles fachmännisch machen lassen. Einen Kredit von 2500.- DM aus dem Fond des Soforthilfegesetzes bekam jeder Siedler, auch wir.

Im Februar 1950 eröffnete ich unser Milchgeschäft. Für Einrichtung hatten wir 300.- DM gebraucht, wobei die weiße Farbe zum streichen des Mobiliars am meisten zu Buche schlug. Eigenleistung.

Große Schwierigkeiten hatte ich mit der Zulassung durch das Gewerbeamt, dem Milchamt und sogar vom Milchhof, der ja unser Lieferant werden sollte, sowie von der Uorstandschaft unserer Siedlergemeinschaft. Von letzterer deswegen, weil einer von ihnen ein Milch und Lebensmittelgeschäft selbst eröffnen wollte, trotzdem wir die Zusage für ein Lebensmittelgeschäft von der Vorstandschaft selbst von Anfang an hatten. Die Gewerbefreiheit trieb sonderbare Blüten. Als ich all diese Hindernisse beseitigt hatte (auch Mithilfe der Militärregierung) war die Welt wieder in Ordnung, die Herren der Schöpfung hatten soviel Charakter zuzugeben, daß sie mir Unrecht getan hatten.

1951 also 1 Jahr später bekamen wir unsere Anschi. Wenn ich nicht soviel Kunden gehabt hätte, daß ich mir eine Frau für das Kind und meinen Haushalt hätte leisten können, ich weiß nicht wie es weiter gegangen wäre.

1953 bauten wir das Häusl auf 10 Meter wie geplant an und eröffneten auf drängen der Kunden ein Lebensmittelgeschäft das auf den Namen meines Mannes lief. Ende dieses Jahres gab er seine Arbeit im Ausbesserungswerk auf und arbeitete im Geschäft 1958 kauften wir eine Filiale und unser drittes Kind die Brigitte kam ein Jahr später, also 1959 auf die Welt. Zu dieser Zeit beschäftigten wir 4 Angestellte.


Hier standen einmal die Häuser, ca. 1968

Meine Arbeitstage waren lang, 14 - 17 Stunden täglich, außer Sonntag, da nämlich legte ich die Arbeit um 5 Uhr Nachmittag nieder. 8 Jahre später eröffneten die großen Konzerne Wertkauf und Profi ihre Supermärkte im Euroindustriemarkt, also in unserer allernächsten Nähe. Ich war nicht traurig, wir schlossen die Filiale und beschäftigten im Haus nur noch 2 Angestellte. Die meisten der anderen Geschäfte mußten schließen, unseres war gesund. Mein Mann ist jetzt 67 Jahre alt und ich 60. Unser Geschäft ist solide und gesund. Die Kunden wägen ab was sie im Supermarkt kaufen und was bei uns, denn sie wollen uns nicht verlieren, so wenig wie wir sie. Aus Altersgründen kommt sicher der Tag wo es nicht mehr weitergeht, doch jetzt sind wir noch zufrieden und glücklich.

Geschrieben am 3. Februar 1981

Janesch Angela geb. Schauer in Weißenstein, in der deutschen Sprachinsel Gottschee

(alle Rechte vorbehalten), Angela Janesch

www.gottschee.de

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