Die Deutsche Sprachinsel Gottschee - Volkslieder, Dr. Adolf Hauffen, Graz, 1895


Unter den verschiedenen Gattungen der Volkspoesie ist die des Volksliedes in der Sprachinsel Gottschee am reichsten vertreten. Unsere Volksliedersammlung bildet darum auch den Mittelpunkt der ganzen Darstellung und erheischt eine besondere Aufmerksamkeit der Untersuchung. Unter den vielen neueren Sammlungen noch lebender Volkslieder der einzelnen deutschen Landschaften nimmt sie eine eigenartige Stellung ein. An Zahl der Nummern bleibt sie freilich hinter den meisten Sammlungen zurück. Sie erstreckt sich ja nur auf ein kleines Gebiet. Viele Lieder dürften gerade in den letzten Jahrzehnten, da der Einfluss der Fremde stärker als ehedem fühlbar ward, verloren gegangen sein. Manches harrt noch verborgen des Finders. Doch der moderne Volksliederschatz anderer deutscher Landschaften gewährt nicht diesen Eindruck des Alterthümlichen und Eigenartigen. Keiner weicht in der Form so von allen übrigen ab, nur wenige bieten in den Einzelheiten so viel des Neuen dar, als der Gottscheer Liederschatz.

Das deutsche Volkslied blühte bekanntlich im 15. und I6. Jahrhundert von neuem auf in erstaunlicher Fülle, in unvergleichlichem Reichthume. Die gelungensten und beliebtesten Erzeugnisse wurden schon in jener wanderfrohen Zeit von Ort zu Ort getragen, setzten sich überall fest, so dass wir noch heute viele alte Balladen und Liebeslieder in jedem Strich deutscher Lande nachweisen können. Wer also in neuerer Zeit in Gegenden mit reichem Verkehr, etwa in Mitteldeutschland, sammelt, fördert meist schon bekannte
Lieder, höchstens mit neuen Varianten, zutage, selten ein Lied, das ohne Parallele dasteht. In Gegenden aber, die vom Verkehre weiter abliegen, wo die landschaftliche Umgebung, die Lebens- und Erwerbsverhältnisse auch besondere Zustände erzeugen, also etwa in der Schweiz, in den innerösterreichischen Alpenländern, da bietet auch der Volksliederschatz, das dichterische Spiegelbild dieser Zustände, einen eigenartigen Charakter dar.

In erhöhtem Grade ist dies in den Sprachinseln der Fall. Hier wird einerseits alles reiner und ungeminderter bewahrt, als in den der Ausgleichung stärker ausgesetzten Gegenden, anderseits wird hier die alte volksthümliche Poesie theilweise unter fremdnachbarlicher Einwirkung zu einer eigenthümlichen Entwicklung geführt.

Gerade auf dem Gebiete des Volksliedes finden wir bei den Siebenbürger Sachsen ganz ähnliche Verhältnisse, wie bei den Gottscheern. In beiden Sprachinseln werden die Lieder, völlig in der Mundart gesungen (das Volkslied abgelegener Gegenden ist überhaupt in der Regel mundartlich), in beiden wird die Ballade bevorzugt, in beiden gewähren die Lieder durch die Form (meist dreizeilige Strophe), durch Auffassung und Darstellung einen alterthümlicheren Eindruck, als die entsprechenden deutschen Parallelen, in beiden erscheint der überlieferte Stoff auf heimische Orte und Zustände übertragen. Hier wie dort können wir mehrere Altersschichten der eingewanderten, sowie der im Lande selbst entstandenen Lieder unterscheiden. Die siebenbürgisch-sächsischen Lieder einerseits, wie die Gottscheer Lieder anderseits haben sich untereinander in Form und Inhalt immer mehr angeglichen und zeigen eine Reihe poetischer Redewendungen zu immer wiederkehrenden, auch gedankenlos an unpassenden Stellen verwendeten Formeln erstarrt.

Der erste Eindruck des Gottscheer Liedergutes ist dem der Mundart entsprechend. Ein fremdartiges Bild,
in der reimlosen Form insbesondere von allem abweichend, was wir sonst in der deutschen Volkspoesie kennen. Bei näherem Zusehen aber ergibt sich der Hauptstock als gut deutsch. Für den Inhalt der Lieder, für die Motive, die Auffassung, für die typischen stilistischen Erscheinungen lassen sich meist sehr nahe, oft wörtlich übereinstimmende Parallelen aus anderen deutschen Landschaften beibringen. Viele der bekanntesten deutschen Volksballaden und Liebeslieder, so von der Liebesprobe, vom wiederkehrenden Gatten, von der verkauften Müllerin, vom Brautmörder, von der Wirtin Töchterlein, der Kindesmörderin, den zwei Gespielen, dem Jungbrunnen, dem treulosen Liebchen, dem alten Weib u. s. w. werden auch in Gottschee gesungen. Aber manches hat sich hier alterthümlicher erhalten, als im Mutterlande, viele Lieder sind unter den neuen örtlichen Verhältnissen in Form und Inhalt anders ausgebildet worden. In Stil, Syntax, Metrum und Melodie haben sie ihre ganz besonderen deutlich hervortretenden Merkmale. Endlich ist ein geringer slawischer Einschlag erkennbar.

Nicht alle Gottscheer Lieder sind untereinander gleichartig. Die Verschiedenheit des Alters äußert sich schon in der Form. So müssen der Abstammung nach mehrere Gruppen unterschieden werden. Die größte Gruppe bilden jene Lieder, die schon lange, schon seit Jahrhunderten in der Sprachinsel gesungen werden. Etwa hundert Nummern, also zwei Drittel unserer Sammlung, müssen dazu gerechnet werden. Einige der ältesten haben die Gottscheer sicher schon bei der Einwanderung in der Mitte des 14. Jahrhunderts mitgebracht. Möglich ist diese Annahme für die Lieder, die sich an die Kudrundichtung anschließen: Nr. 44, 46-50, bei den Besten der Heimkehrlieder Nr. 56 bis 58, beim Lied von den zwei Königstöchtern Nr. 53, von der treuen Liebe Nr. 55; denn diese Stoffe waren in Deutschland nachweislich schon im 14. Jahrhundert be
kannt. Deutscher Einfluss reichte auch in der Folgezeit ununterbrochen bis nach Gottschee. Oberkrain und Unterkrain waren ja erfüllt von deutschen Niederlassungen. Die Landeshauptstadt Laibach, mit der die Gottscheer in Handelsbeziehungen standen, war im 16. Jahrhundert so gut wie eine deutsche Stadt. Im ganzen Lande waren die adeligen Grundbesitzer und ihre Gefolgschaften, vielfach waren Kaufleute und Söldner Deutsche.

So konnte also deutsches Liedergut immer von neuem nach Gottschee dringen. Ferner verlieh Kaiser Friedrich III. im Jahre 1492 den Gottscheern das Recht, mit ihren Erzeugnissen in fremden Gegenden Handel zu treiben. Von da ab begann der lebhafte Hausierhandel der Gottscheer. Sie zogen nun vorerst in die Nachbarländer, nach Kroatien, Kärnten und Steiermark, doch bald auch weiter dem Norden zu. Gerade in dem sangesfrohen 16. Jahrhundert waren sie also schon viel auf deutschem Gebiete und konnten alle die neuen Lieder kennen lernen und in ihre Heimat bringen. Die meisten Volkslieder dürften auch im 16. Jahrhundert nach Gottschee gekommen sein. Viele sind ja erst in dieser Zeit entstanden, oder doch für eine ältere Zeit nicht zu belegen. Dass aber die meisten schon lange in der Sprachinsel sind, ergibt sich daraus, dass sie die noch später zu erörternden Gottscheer Eigenthümlichkeiten zeigen. Oft lassen sie sich als eine ältere Fassung der in Deutschland für das 16. oder erst für das 19. Jahrhundert belegten Parallelen erweisen. Sie haben die alte dreizeilige Strophe, sie haben alte Motive oder die Angabe des Grundes bewahrt, was in den entsprechenden deutschen Liedern schon ausgefallen ist. (Z. B. Nr. 68-70.) Oder es vereinigt ein Gottscheer Lied alle alten Züge, die in den verschiedenen deutschen Parallelen nur vereinzelt vorkommen (z. B. Nr. 11).

Aus welcher deutschen Landschaft die Gottscheer sich jedes einzelne Lied geholt haben, lässt sich natürlich nicht nachweisen, weil die meisten Lieder nahezu gleichlautend
überall zu finden sind. In den Verhältnissen lag es, dass sie manches durch Vermittlung der Nachbarländer erhielten, und so stehen auch einzelne Gottscheer Lieder noch heute den kärntnischen, steirischen oder allgemein österreichischen Fassungen näher, als denen im Reiche (z. B. Nr. 70, 79). In vielen Fällen kann man dies aber nicht aufdecken, weil die Alpenländer, besonders Kärnten und Steiermark, nur noch wenig alte Balladen bewahrt haben.

Dieser Gruppe von alten allgemein verbreiteten deutschen Volksliedern, die in Gottschee gleichmäßig einer eigenthümlichen Umbildung unterzogen wurden, schließt sich eine kleinere zweite Gruppe von Liedern an, die wahrscheinlich in der Sprachinsel selbst entstanden sind. Mit größerer oder geringerer Sicherheit sind hieher zu rechnen die Lieder Nr. 20- 22, 29, 34-40, 60, 64, 76, 93, 103 f., 107, 109-113, 118, 120, 122, 124, 133 f. Der Umstand, dass sie in der deutschen und in der südslawischen Volkspoesie keine Parallelen haben, ist natürlich nicht allein beweisend; denn die Parallelen könnten ja verloren gegangen sein. Aber sie beziehen sich auch auf bestimmte Bräuche und Verhältnisse der Sprachinsel, oder sie geben sich deutlich als Schilderungen örtlicher Ereignisse, oder als Erzeugnisse der augenblicklichen Laune. Die jüngeren enthalten auch Reime, die nur in der Gottscheer Mundart als solche empfunden werden (Nr. 107, 120). Diese Lieder nebst der später zu besprechenden dritten Gruppe der aus dem Slowenischen oder Kroatischen stammenden Lieder vermehren thatsächlich das bisher bekannte deutsche Volksliedergut. Eine vierte Gruppe bilden die jüngeren Lieder, die erst in neuerer Zeit (in unserem Jahrhundert) aus deutschen Ländern in die Sprachinsel gekommen sind und hier nur wenig oder gar nicht in den Gottscheer Stil umgesetzt wurden und ganz oder halb Schriftdeutsch gesungen werden.

Die Lieder der ersten drei Gruppen werden völlig in der Mundart gesungen. Die Mundart der Lieder ist etwas alterthümlicher, als die heute noch lebende Umgangssprache. Die Nebensilben werden vielfach (aus metri
schen Gründen) voll ausgesprochen. Im Artikel, Pronomen, bei den Präpositionen werden die heute üblichen Abkürzungen vermieden. Der Wortschatz enthält vieles, was der Sprache des täglichen Lebens bereits verloren gegangen ist. Die Lieder der ersten drei Gruppen (auch die südslawischen Ursprunges) sind in der Auffassung, im Stil, in der Syntax, in der metrischen Form untereinander ganz gleich gestaltet und geben gemeinsam das von den allgemein deutschen Volksliedern in einzelnen Zügen so merkwürdig abweichende Bild des eigentlichen Gottscheer Liedes.

Das alte Volkslied der Gottscheer ist durchwegs feiertägliche Poesie. Die Legenden, Balladen und episch-lyrischen Liebeslieder höheren Stils bilden eine große Mehrheit und stehen noch heute im Vordergrunde des lebenden Volksgesanges. Schon der typische Eingang der meisten Lieder ist überaus feierlich. Der Held oder die Heldin steht früh morgens auf, betet, wäscht sich, nimmt ein Frühstück, lässt sich ein Pferd satteln (die Heldin kleidet sich schön an) und zieht so wohlgerüstet aus, um ein ungewöhnliches Ereignis zu erleben oder eine außerordentliche That zu vollziehen. Wie eine höchst ehrwürdige Sache werden die Lieder gesungen, mit festlicher Erhebung, mit sichtbarer innerer Ergriffenheit. Außerdem hat das entsagungsvolle, harte, von Leiden aller Art bedrängte Leben, das die Gottscheer Landleute ehedem führen mussten, ihren Liedern einen nicht gerade traurigen, aber einen entschieden gedämpften Ton verliehen. Das geängstigte Herz wagt nicht, im Liede frei aufzujubeln. So fehlt jeder lose Scherz, jede schalkhafte Wendung, jeder Freudenausbruch. Zumeist werden ernste Ereignisse besungen: Abschied, Entführung, Todesfälle, Mord, die Wiederkehr des todten Freiers. Fremden Liedern wird in Gottschee gerne ein tragischer Ausgang angefügt oder doch der scherzhafte Schluss genommen (z. B. Nr. 80, 81, 123 und 129).

Vertrauensvolle Frömmigkeit ist ein weiteres Merk-mal der Gottscheer Lieder. "Was Gott will haben, ist leicht
gethan" (Nr. 18-21), oder "In Gottes Namen, in Jesu Namen" (Nr. 18, 21, 22, 32): das ist ihr Wahlspruch. Die legendenhafte weiße Taube, die beim Tode der Märtyrer zum Himmel schwebt, erscheint auch in weltlichen Liedern (Nr. 66, W). Selbst Trinklieder werden mit frommen Sprüchen eröffnet (Nr. 135). Groß ist die Zahl der geistlichen Lieder und Legenden und unter ihnen befinden sich die schönsten der Sprachinsel eigenthümlichen Volksdichtungen. Neben allgemein verbreiteten Marienlegenden die Scenen aus dem Evangelium oder spätere Erdenwanderungen Marias schildern, haben die Gottscheer auch noch besondere Marienlieder. Sie rufen ihren Namen bei der Ernte an (Nr. 8). Maria versieht dem betrübten Bräutigam auf der Hochzeit die Stelle, der verstorbenen Eltern (Nr. 17), sie ertheilt der tanzenden Jugend eine ernste Ermahnung (Nr. 15). Sie wird überhaupt sehr streng geschildert: sie verzeiht dem Frevler nicht (Nr. 12 f.), oder sie verzeiht zwar, aber will es nicht vergessen (Nr. 15).

(In Marie von Ebner-Eschenbachs Erzählung "Glaubenslos?" sagt eine Bäuerin: "Verzeihen -ja, vergessen - nein." Darauf der Geistliche : "Verzeihen, nicht vergessen, die Lieblosigkeit hat, diesen Ausspruch erfunden, die Gedankenlosigkeit plappert, ihn nach." und die Gottscheer legen diesen Ausspruch Maria in den Mund, wie verschieden doch die Ansichten sind!
)

Wunderschön sind die Legenden vom heiligen Georg und vom heiligen Leonhard, zu denen ich keine Parallele finden konnte (Nr. 20 und Nr. 22). Wie hier, so wurden auch in anderen Legenden (Nr. 21, 23 f.) volkstümliche Motive auf beliebte Heilige übertragen, ohne dass in deren Leben ein bestimmtes Ereignis dazu veranlasst hätte. Die Legende vermengt sich auch mit historischen (Nr. 29) und mit Märchenmotiven (Nr. 18), sie greift in das Gebiet der Ballade über (vgl. Nr. 31 und Nr. 62).

Auch in den weltlichen Liedern werden die Dinge gewöhnlich vom Standpunkte des Frommen aus angesehen. Verlust der Unschuld nehmen auch Jünglinge selir ernst
(Nr. 103, 121) und selbst der Kuckuck ist im Gottscheer Liede nicht ein leichtsinniger Ehebrecher (wie in deutschen Liedern), sondern ein betrogener Liebhaber, der sich zu Tode betrübt (Nr. 94). Verwandtschaftliche Liebe wird allgemein innig und wahr empfunden und selbst die Stiefmutter nimmt sich der fremden Kinder warm an (Nr. 126;. Selbstverständlich wird, wie im allgemeinen deutschen Volksliede, so auch hier die Liebe als bedeutsamste Angelegenheit des Lebens aufgefasst und in unwandelbarer Treue bis über den Tod hinaus bewährt.

Im Gegensatze zu den übrigen deutschen Volksliedern vermeiden die Gottscheer Lieder jedes derbe Wort, jede unschickliche Situation. Die anstößigen Wörter in Nr. 95 und 120 stehen ganz vereinzelt da. Die Sittsamkeit der Rede erklärt sich daraus, dass in Gottschee ausschließlich Frauen das alte Volkslied singen. Nur neuere Lieder, wie gerade Nr. 120 und die schriftdeutschen Nummern, werden von Burschen gesungen.

Ein weiteres bezeichnendes Merkmal der Gottscheer Lieder ist die Schlichtheit der Darstellung und die Nüchternheit der Auffassung. In den Balladen ist zwar auch hier zuweilen von Königen und Rittern, von Prinzessinnen und Gräfinnen; von Schlössern und Edelsteinen die Rede, doch meist wird alles glänzende Beiwerk vermieden. Wie die Gottscheer im Leben einfache, sparsame Leute sind, so geben sie auch in ihren Liedern nur das einfache Gerippe der Fabel ohne weitere Ausschmückung der Einzelheiten. So wird die Darstellung verständlich, aber auch zuweilen nüchtern und prosaisch. Das Lied vom heimkehrenden Gatten (Nr. 56) ist gleichsam nur ein dürftiger Auszug der deutschen Möringer Ballade. Die singenden Frauen kommen oder kamen doch in früheren Zeiten aus ihrem armseligen Bergdorfe nicht heraus, so blieb ihr Gesichtskreis sehr beschränkt und was ihnen nicht verständlich war, das blieb auch aus dem Liede weg. So verwandeln sie den Ritter (ein ihnen unbekannter Stand) in einen Richter (Nr. 70a), oder in einen Recruten oder modernen Soldaten
(Nr. 55, 59).

Der Ritter der deutschen Parallele, der sich als Pilger verkleidet, wird im Gottscheer Lied zum Bettler (Nr. 56), der geigende König in der slowenischen Quelle wird bei den Gottscheern zum schlichten Geiger (Nr. 96). Das Edelfräulein oder die Königstochter, die in den deutschen Liedern von der Zinne ihrer Burg dem Sänge des Verführers lauscht, wird zum Bauernmädchen am Dachfenster (Nr. 70). Auch das Haus des Sultans wird geschildert als wäre es eine Gottscheer Bauernhütte mit einer Line, einem hof (Stall im Hause) und einem Getreidekasten (Nr. 74a). Die typische Figur aber ist ein alter Mann, der an Stelle verschiedener Persönlichkeiten in den deutschen Parallelen im Gottscheer Lied die Handlung eröffnet oder fortführt (Nr. 58, 79).

Mit dem Gesagten sind wir schon zum Theile in eine negative Charakteristik hineingerathen. Sie muss fortgesetzt werden. Denn nicht nur das, was einer Volkspoesie eigenthümlich zukommt, sondern auch das, was ihr fehlt, ist für sie bezeichnend. Die Gottscheer, die nicht in den Alpen, sondern in einem waldigen Mittelgebirge wohnen, weichen darum im Charakter, in der Lebensführung und in den Liedern von den übrigen bayrisch-österreichischen Stammesgenossen, vielfach ab. Sie haben keine Alm- und Schützenlieder, und was sehr bemerkenswert ist, keine Schnaderhüpfeln, die doch sonst in ganz Deutsch-Österreich und darüber hinaus verbreitet sind. Die kecke Lebenslust und die jauchzende Stimmung der Schnaderhüpfeln sagt ihrem herben Wesen nicht zu und so erschallen auch keine Jodler auf den Berghängen der Sprachinsel. Auch die übermüthige sinnliche Art, mit der alle Seiten des Liebeslebens in den Liedern der Älpler in Erscheinung treten, fehlt hier ganz. Wir hören nichts vom Fensterln, vom heimlichen Liebesgenuss, nichts vom Schmollen und Trutzen, von den Ränken und Neckereien, von der gegenseitigen stürmischen Hingabe der Liebenden. Aber auch von dem
alten allgemein deutschen Volksliede fehlen in Gottschee mehrere Gruppen, so die leichtsinnigen Schlemmer- und Buhllieder, die Maireigen und die Tagelieder, die mannigfaltigen Ehebruchslieder. Es fehlen die Lieder von Nonnen und Mönchen, von Bergleuten, Schiffern u. s. w., denn in der Sprachinsel gibt es kein Kloster, keine Schiffahrt und erst seit der neuesten Zeit ein Bergwerk.

Die Gottscheer Lieder versetzen alle fremden, außergewöhnlichen Ereignisse ganz in die Heimat, sie haben daher ein sehr starkes Localcolorit. Sprachinseln sind auch im Culturleben sehr abgeschlossen. Und wie sich in den Liedern der Charakter des Stammes widerspiegelt, so auch dessen äußere Verhältnisse. Darum könnte man aus den Liedern förmlich ein Culturbild des alten Gottschee auslösen. Die Lieder begleiten, wie im 6. Capitel gezeigt wurde, alle kirchlichen und weltlichen Volksfeste und geben Gelegenheit, einzelne der verschwundenen Bräuche (z. B. bei der Hochzeit) noch jetzt zu erkennen. Die mythischen Erscheinungen des Volksglaubens, die Hexen, die lange Schlange u. s. w. erscheinen auch im Liede. Einzelheiten des Gottscheer Hauses (besonders die Line und das mittlere Fenster) und die heimische Tracht werden im Liede oft und jedesmal als selbstverständliche, allein denkbare Zustände erwähnt.

Der Name Gottschee wird als selbstverständlicher Ort der Handlung gar nicht erwähnt: nur der Sultan zieht aus der Türkei ins "Gottscheer Land" (Nr. 73). Dagegen werden einzelne Gottscheer Orte häufig angegeben, so der Nesselthaler Boden (Nr. 76), die alte Kirche, d. h. Mitterdorf (Nr. 73), Kukendorf und Mückendorf (Nr. 119). Die, Vortheile und Nachtheile einzelner Gegenden werden gegen einander abgewogen, so das unfruchtbare Rodine und das gesegnete Maierle und Schemitsch (Nr. 112 f.). Die nächste Nachbarschaft, besonders Reifnitz, spielt mit hinein (Nr. 67). Das den Liebsten erwartende Mädchen schaut über den Reifnitzer
Boden aus (Nr. 55). Aus Kroatien werden die Orte Ogulin (Nr. 29, 67) und Karlstadt (Nr. 64, 94, 119) erwähnt; aus Krain neben Reifnitz die neue Stadt (d. h. Rudolfswerth Nr. 69), Möttling (Nr. 67), Oberkrain (Nr. 95) und wiederholt Laibach (Nr. 28, 71, 95, 119). Laibach hat den Beinamen weiß. Auch in der slowenischen Volkspoesie heißt es bela Ljubijana und wird allgemein im Volksmunde als das weiße Laibach bezeichnet. Den Städten wird gerne, namentlich bei den Südslawen, dieses Beiwort gegeben. Die Nähe der Türkei kommt natürlich auch in den Liedern der Gottscheer, wie in jenen der Südslawen zur Geltung. Türken entführen Gottscheer Mädchen (Nr. 73, vgl. auch Nr. 71), die Christen nehmen dafür Vergeltung (Nr. 74 f.). Kämpfe mit Türken erwähnen zwei Lieder (Nr. 29, 76).

Ohne historischen Hintergrund schildern die Soldatenlieder aus einer späteren Zeit den Abschied der Recruten, die ins "große Heer" müssen (Nr. 90-91a, vgl. auch Nr. 89 und 77). Kirchtage (das zugleich Jahrmarkt bedeutet) werden wiederholt in den Städten abgehalten; mit Pferd und Maulthier reitet man dahin (Nr. 64, 119, 69). Ein "Kaufmaß" gilt als Getreidemaß (Nr. 111), für die Bezahlung gibt es auch noch allgemeinere Bewertung: ein "Hut" oder eine "Kappe voll Geld" (Nr. 68, 73). Hirse und Weizen sind die häufigsten Getreidegattungen (Nr. 64, 93, vgl. auch Nr. 133). Feldarbeit wird wiederholt geschildert (Nr. 20 f. u. a.). Von der wichtigsten Beschäftigung, dem Hausierhandel, schweigen die Lieder (der Gegenstand ist wohl nicht poetisch genug), nur die Freude der wandernden Männer über die Heimkehr ertönt in einem Sonnwendliede (Nr. 35). Das Bier kommt gar nicht vor, die Gottscheer Lieder kennen nur den Wein, wie ihnen ja auch der Biergenuss bis in unser Jahrhundert herein ganz fremd war. Auch im älteren deutschen Volksliede ist, nebenbei bemerkt, das Bier ein seltener Gast, während der Wein in der poesievollsten Weise immer wieder verherrlicht wird. Die Volkslieder entstanden eben im Süden und Westen deutschen Gebietes, im 15. und 16. Jahrhundert ausschließlich Weingegenden.
Die eigentlichen deutschen Bierländer der älteren Zeiten lagen im Norden und Osten, wo nur wenige Volkslieder geschaffen wurden.

Auch der Stil der Gottscheer Lieder hat eine ganze Reihe stark hervorstechender Kennzeichen. Freilich sind alle typischen Formeln der Gottscheer Lieder im allgemeinen deutschen Volksliede ebenfalls nachweisbar. Sie sind also alle deutsch und echt volksthümlich. Doch die außerordentliche Häufigkeit ihres Auftretens in einer verhältnismäßig geringen Anzahl von Liedern, die Art ihrer Verwendung und bestimmte Abweichungen des Wortlautes unterscheiden sie deutlich von den Formeln der übrigen deutschen Volkslieder. Im deutschen Volksliede hat sich bekanntlich ein ganz besonderer Stil entwickelt. Die einzelnen Dichter sangen eben im Sinne und Geschmack des ganzen Volkes und bedienten sich hiebei der allen gemeinsamen Mittel der poetischen Technik und erzielten dadurch die unmittelbarste Wirkung. Hatte ein volksthümliches Lied von Haus aus auch eine individuelle Ausdrucksweise, so wurde diese (sie gieng ja durch den Mund von Tausenden) allmählich verwischt; die altbekannten typischen Formeln traten bald an die Stelle der neuen, auffälligen Redewendungen. Die jüngeren Volkslieder richten sich immer nach älteren, beliebten, wirksamen Mustern. So finden wir in all den Tausenden von Volksliedern auf dem ganzen deutschen Gebiete in den gleichen poetischen Situationen immer die gleichen glücklich geprägten Formeln, die gleichen Reimbindungen, Bilder und typischen Wendungen. Die Volkslieder pflanzen sich ja nur auf dem Wege der gedächtnismäßigen, mündlichen Überlieferung fort und so ist es begreiflich, dass die Sänger auch beim Vortrage neuerer Lieder geläufige Verse und ganze Strophen aus altbekannten Liedern herübernehmen.

Dieser Zwang der Analogie muss natürlich auf dem beschränkten Raum einer Sprachinsel viel stärker wirken. Hier werden immer die gleichen wenigen Lieder gesungen, die sich daher nacheinander richten und einander immer
ähnlicher werden müssen. Kommt nun ab und zu ein neues Lied in das Land (wie es ja bei den Gottscheern der Fall war) so wird es, und mag es noch so originell sein, von der Mehrheit der im Lande bereits ansässigen Lieder beeinflusst; es muss ihren Stil, ihre metrische Form annehmen, sowie ein neuer Ansiedler sich im eigenen Interesse der Selbsterhaltung nach den Sitten und Bräuchen des Landes richten muss. Noch viel consequenter als bei den sieben-bürgisch-sächsischen Liedern ist dieser Zwang bei den Gottscheer Liedern durchgeführt worden.

Dies merken wir gleich in der auffälligsten Weise am Eingangsvers. Es gibt im deutschen Volksliede eine Reihe von typischen Eingangsversen, von denen mehrere auch in Gottschee vertreten sind. Mehr als zwei Drittel aller alten Gottscheer Lieder beginnen mit den Versen: "Wie früh ist auf" (nun folgt der Name des Helden und danach): "Er (sie) steht des Morgens gar früh auf". Einen ähnlichen Anfang zeigen eine Reihe deutscher Volkslieder. "Es wollt' (oder sollt') ein Mädchen früh aufstehen." Sie geht früh in den Wald. Dort wird sie von der Haselstaude gewarnt, oder sie verfällt der Verführung, oder sie findet ihren todtwunden Geliebten. Ähnliche Eingänge sind: "Wenn ich des Morgens früh aufsteh" - "Es wollt' ein junger Geselle (Jäger, Bauer, Müller u. s. w.) des Morgens früh aufsteh'n"- "Ich wollt' einmal recht früh aufsteh'n" u. ä.

Diese Formeln stehen also vor Liedern verschiedenen Inhalts. In der Regel erscheint es durch die erzählte Handlung begründet, dass der Held früh aufsteht. Auch die Siebenbürger Sachsen haben diesen Eingang oft." Bei den
Gottscheern aber stellt er als erstarrte Formel am Eingang fast aller alten Lieder, unbehindert ob er durch den folgenden Inhalt berechtigt erscheint oder nicht. Auch am Eingang der Legenden ("Wie früh ist auf Maria") und allegorischen Gedichte ("Wie früh ist auf der Sonntag" Nr. 34). Sicherlich hat ein einziges Gottscheer Lied alle
übrigen zur Nachahmung verlockt. Vermuthlich die Ballade von der schönen Meererin. Sie gehört zu den ältesten Gottscheer Liedern, sie ist noch heute in vielen Fassungen (Nr. 44-50) verbreitet, das beliebteste und häufigst gesungene Lied in der Sprachinsel; hier hat auch der typische Eingang seine sachliche Berechtigung, denn in der
Kudrundichtung wird schon berichtet, dass die schöne Wäscherin am frühen Morgen zum Meeresufer geht, um zu waschen. Auch die Ballade von der verkauften Müllerin (Nr. 68) hat schon in einzelnen deutschen Parallelen einen
ähnlichen Eingang. Von da gieng er allmählich auf die anderen Lieder über.

Auch die weiteren Zeilen nach den erwähnten zwei Eingangsversen sind in vielen Gottscheer Liedern einander gleich. Ist es eine Heldin, so heißt es hernach gewöhnlich, dass sie sich bekreuzigt, wäscht, schön anzieht und dann ins Freie geht. (Nr. 13 f., 25, 5, 28, 32, 6-2, 71 f., 98, 123 u. a.). Auch von Männern wird dies zuweilen berichtet (Nr. 19, 22, 57, 68). Doch gewöhnlich werden Balladen von jungen Männern damit eröffnet, dass der Held früh aufsteht, die Mutter weckt, sich von ihr ein Frühstück und das Mittagessen kochen lässt. Dann weckt er die Knechte, dass sie ihm das Pferd satteln und reitet von dannen (Nr. 64 f., 95, 119, 18, 61 u. a.). Diese, Stellen sind auch im einzelnen fast wörtlich gleich. Die Aufforderung geschieht immer mit dem Worte: Geht, kocht mir, oder sattelt mir. Die Ausführung mit den Worten: Behend geschah es. Dabei ist die Analogiewirkung so stark, dass der Held in Nr. 64, obwohl er verheiratet ist, nicht seine Frau (wie in Nr. 21.),
sondern seine Mutter wegen des Frühstücks weckt, und dass in Nr. 94 auch dem Kuckuck die Mutter Frühstück und Mittagessen kocht.

Leise Anregung zu dieser weiteren typischen Ausführung des Eingangs mögen vielleicht südslawische Lieder gegeben haben. Ein kroatisches Lied z. B. beginnt damit, dass ein Mädchen am frühen Morgen aufsteht, sich die Haare schön kämmt und dann ins Freie zieht; ein slowenisches andererseits beginnt: St. Ulrich stand früh morgens auf und weckte seine Mutter. Einen ziemlich verwandten Eingang hat auch ein rumänisches Lied.

Die wenigen alten Gottscheer Lieder, die in diesem Punkte ihre eigenen Wege gehen, haben auch typische Eingänge, die aus den deutschen Volksliedern bekannt sind. So mit dem unpersönlichen Pronomen: "Es waren zwei Liebe" (Nr. 54). "Es waren zwei Gespielen" (Nr. 115). "Es reitet ein Ritter auf und nieder" (Nr. 70b). "Es zieht eine Mutter ihr Töchterchen auf" (Nr. 69) und viele ähnliche; dann die ebenfalls häufige Wendung: "Dort steht." "Dort steht ein ebener Boden" (Nr. 81). "Dort steht ein zerissener Stall" (Nr. l). "Dort steht eine grüne Linde" (Nr. 55, 121, 15).

Nach diesen Eingängen wird nun gewöhnlich auch noch der Beginn der eigentlichen Handlung in typischen Zeilen berichtet. Ist der Held zum Ausgang wohlgerüstet, so heißt es dann: "Er (sie) zieht dahin am Weg breit",
oder "Er reitet dahin am Wege breit." Hat er nicht ein bestimmtes Ziel, so besteht das Ereignis in einer Begegnung. Darum folgt dem eben erwähnten Vers in der Regel: "Und ihm (ihr) begegnet der alte Mann (der liebe Gott u. s. w.)" (Nr. 18, 26, 33 f., 41, 68 f., 75 u. v. a.). Der eine von beiden eröffnet das Gespräch: "Also spricht da der (alte Mann)", ein Vers, der fast in allen alten Liedern steht. Da die Begegnung immer am frühen Morgen stattfindet, so ist die Eröffnung des Gespräches häufig ein Morgengruß mit folgendem Zwiegespräch, A: "Guten Morgen, guten Morgen du (alter Mann" u. a.). B: "Schönen Dank, schönen Dank Ihr (Herren u. a.). Ach, guten Morgen hab' ich gar wenig." A: "Wie so, wie so, du ...?" und B gibt den Grund seiner Trauer an. Dieses Gespräch steht auch in den Balladen von der schönen Meererin. Da in der Kudrundichtung schon diese Formel angedeutet ist (vgl. unten die Anmerkungen zu Nr. 44 ff), so stand sie wahrscheinlich zuerst in diesen Balladen und ist von da, wie der Eingangsvers, allmählich auf andere Gottscheer Lieder übergegangen (Nr. 52, 56 f., 61, 68, 34). Ist der Held bei seinem Ziel angelangt, so muss er sich bemerkbar machen. Ist er feindlicher Gesinnung oder bringt er traurige Botschaft, "So klopfet er so greulich an". In anderen Fällen klopft er "schön" oder "freundlich" (Nr. 2 und 2 a, 11, 68 f., 95). Häufig erfolgt darauf die Frage: "Wer ist heute noch so spät davor" (Nr. 11, 68, 95).

Haben also viele Lieder einen typischen Eingang, der oft tief in die eigentliche Handlung hineingreift, so gibt es auch typische Schlussformeln. Die häufigsten sind die zwei (noch unten in den Excursen zu besprechenden)
Schlüsse: Bei glücklichem Ausgange die Liebesbetheuerung "Du bist mein und ich bin dein", bei unglücklichem Ausgange die Erwähnung der Blumen, die auf die Gräber der Liebenden gepflanzt werden. (1 Die im alten deutschen Volksliede so bekannte Schlusswendung: Wer hat dieses Liedlein gesungen, Ein Reiter oder zwei Hauersknaben u. s. w. fehlt in Gottschee vollständig.)

Es hat natürlich nicht jedes Lied alle diese Formeln, doch meistens eine ganze Reihe davon, so dass für den besonderen Inhalt oft nur wenig Raum übrig bleibt. Die meisten alten Lieder sind zum vierten oder dritten Theile aus typischen Versen zusammengesetzt, wodurch sie einander so gleichartig werden.

Auch die verhältnismäßig geringe Zahl von Beiwörtern wird typisch verwendet. Das häufigste Beiwort ist schön, das fast vor jedem weiblichen Namen steht. Aber auch Jünglingen wird zuweilen dieses Beiwort verliehen (Nr. 65, 72) statt des sonst üblichen jung. Schön werden ferner Dinge, die man ehren will, zubenannt: die Schule, die Ehre, der Gottesweg, und erfreuliche Dinge: das Frühstück, das Mittagessen, der Jahrmarkt, aber merkwürdigerweise auch die Todesbotschaft (Nr. 59). Sehr häufig ist auch das Beiwort weiß. Weiß sind natürlich immer die Hände, aber auch andere Körpertheile, dann die Leiche, die Kirche, die Mühle, Haus und Schloss, die Wäsche, das Bett, die Frau, der Engel, Städte wie Laibach und Karlstadt. Als Gegensätze stehen nebeneinander: Die weiße Kirche und der grüne Friedhof (Nr. 39, 117). Die weiße Hirse und der rothe Weizen (Nr. 41, 64, 93, 133). Die Steigerung schneeweiß wird beigelegt der Hand, dem Hals, der Wäsche, dem Kleid, der Haube, dem Brief u. a. Merkwürdig ist es, dass gerade die Titelhelden der Lieder so oft als klein bezeichnet werden. Nicht nur Mädchen, Kinder, Vögel, der Schneider (Nr. 60) werden klein genannt, sondern auch der Geiger in Nr. 96, der eigentlich König Matthias ist, und der Kaufmann in Nr. 75, der sich die Sultanstochter erwerben will.

Grün sind natürlich der Baum, die Linde (und andere Bäume), der Majoran, der Garten, die Alm, das Gras, der Wald (daneben häufiger finster) u. a. Roth, der Weizen, die Ochsen, der Sand. Der Wein ist roth oder kühl. Kühl sind ferner der Brunnen, Wasser, Wind, Erde, Schatten. Grau sind Wolf und Stein. Schwarz sind die Augen und der Pfarrer. Kohlschwarz die Augen, die Erde, der Mantel, die Amsel. Der Hut, der Berg und das Ross sind immer hoch, das Meer und der Weg immer breit, die Rosen und der Tag licht, der Steig schmal, das Heer groß. Heiß wird geweint, süß oder schön gesungen. Die Messe, die Predigt, das Kreuz sind heilig. Dieses Beiwort wird auch tautologisch den mit Sanct verbundenen Namen vorgesetzt. Dar hailig
a schain Martin, dar hailiga" schainte Goria u. a. Bemerkenswert ist die Verwendung von edel. Der Mond scheint edel (Nr. 54), die einzelnen Kleidungsstücke sind edel, d. h. fein, in Nr. 72.2 Besondere Gottscheer Beiwörter sind pisat (bunt, slow. pisan); bunt ist das Schiff (Nr. 49 und 133), die Decke (Nr. 67), das Pferd (Nr. 111); ferner schaiblain (rund); so wird immer der Tisch unter der Linde bezeichnet (-Nr. 15, 55 a, 71, 121). Ein sonst nicht belegtes Wort ist rothsilbern für die Weizenähre (der Halm rothgolden Nr. 8).

Zwei mit verschiedenen Beiwörtern versehene Begriffe werden gerne innerhalb eines Verses zueinander in Gegen
satz gebracht. Am häufigsten ist der Vers: "Am breiten Weg, am schmalen Steig" (Nr. 6 f., 32, 71, 64 u. a.).Ähnlich "Am breiten Weg, am engen Rain" (Nr. 71), "Auf dem langen Acker, auf dem schmalen Ackerstreif" (Nr. 21, 62), "O du lange Ewigkeit, du kurze Welt" (Nr. 122) und ohne Gegensatz: "Zum breiten Meer, zum tiefen See" (Nr. 44-50).

Zweigliedriger Bindungen gibt es genug in den Gottscheer Liedern, doch treten die meisten nur je einmal auf. Öfters finden wir: Zeit und Weile (Nr. 99, 118), Knechte und Mägde (das zugleich Burschen und Mädchen bedeutet Nr. 21, 77, vgl. auch Nr. 121), Himmelreich und Paradies (Nr. 5, 9, 43), immer und ewig (Nr. 68, 96), halsen und küssen (Nr. 63, 95), essen und trinken (Nr. 25, 56, 71), geht und steht (Nr. 28, 77). Eine dreigliedrige Form ist außer der Dreifaltigkeit (z. B. Nr. 9) noch Vater, Mutter und die ganze Freundschaft (Nr. 80, 8l).

Mehrere zweigliedrige Bindungen entstehen dadurch, dass die zweite Hälfte eines Verses im nächsten wiederholt und ein verwandter Begriff hinzugefügt wird. Beispiele hiefür finden sich fast in jedem älteren Gottscheer Lied.

Also Nr. 63:
Sie werden Euch geben ein Gläschen Wein,
Ein Gläschen Wein, ein Stückchen Brot.

Oder Nr. 21, 95 u. a.:
Geht, kochet mir das Frühstück schön,
Das Frühstück schön, die Mahlzeit dazu.

Nr. 22:
Aus mir werden sie machen einen Altartisch,
Einen Altartisch, einen Predigtstuhl.


Die Wiederholung eines halben Verses wird zuweilen mehrere Zeilen hindurch fortgesetzt, wobei die neu hinzukommende Hälfte gewöhnlich eine Steigerung bedeutet.

Z. B. Nr. 103.
So feiern sie das Johannisfest eine kleine Weile,
Eine kleine Weile bis Mitternacht,
Bis Mitternacht, bis zum lichten Tag.

Es gibt auch noch andere Formen, einen Theil des Verses in der nachfolgenden Zeile zu wiederholen.

Z. B. Nr. 121:
Den jungen Wein, den schenket Ihr.
Den jungen Wein, den trinket Ihr.

Oder in Nr. 77:
Er muss gehlen ins große Heer,
Ins große Heer mag er nicht gehen.

Befehle, Grüße, Wünsche, Anrufungen werden gewöhnlich wiederholt: "Nun gib mir, nun gib mir!" "Geh heim, geh heim!" "Mach auf, mach auf!" "Frisch auf, frischauf, mein Hengst!" "Schweig stille, schweig stille, du Turteltaube!" "Grüß Gott, grüß Gott!" "Hol Schwesterl, Schwester! liebes mein!" u. v. a.

Wiederholungen ganzer Absätze entstehen endlich dadurch, dass innerhalb eines Liedes zwei gleiche oder ähnliche Situationen mit den gleichen oder ähnlichen Worten wiedergegeben werden. Die Frage und die Antwort, der Befehl oder der Wunsch und die Ausführung werden mit denselben Worten erzählt. Also z. B. in Nr. 75 die Frage: "Führst du mich noch lang als Mädchen oder führst du mich zu dir?" und die Antwort: "Ich führ' dich nicht mehr lang als Mädchen, Ich führ' dich auch nicht zu mir." Und in Nr. 98 zuerst der Auftrag: "Und wenn wir gehen ins weiße Bett, So schlag du dreimal mir um die Mitte, Und ich werde sein ein schöner Junker." Und ebenso die Ausführung. Oft wird das gleiche Gespräch mit mehreren Personen hintereinander wiederholt (Nr. 24, 37 u. a.). Oder mehrere Personen kommen mit ähnlichen Wünschen, die sie fast gleichlautend vorbringen (Nr. 69). Oder der zweite Theil der Lieder ist die Ausführung der Andeutungen des ersten Theiles (Nr. 114). Oder wird die Rückfahrt mit den gleichen Versen (natürlich in umgekehrter Reihenfolge), als wie die Hinfahrt geschildert (Nr. 46) u. a.

Solche Wiederholungen finden sich ja, überall in der Volkspoesie, in den homerischen Epen ebenso gut, wie in den Balladen der Serben, sparsamer angebracht auch in den deutschen Volksliedern, am reichlichsten in den Gottscheer Liedern. Man bedenke: Eingang und Schluss sind, wie oben gezeigt wurde, meist aus typischen Zeilen zusammengesetzt. Innerhalb eines Verses sind häufig einzelne Wörter wiederholt; innerhalb eines Liedes folgen ganze Verse und Absätze einander zwei- und mehrmals. Dazu kommt, dass beim Singen in der Regel fast jeder Vers wiederholt wird und danach der Refrain kommt. So ist es möglich, dass sich lange Lieder aus nur wenigen verschiedenen Versen zusammensetzen. Dieser Umstand fördert natürlich die gedächtnismäßige Überlieferung oder ist, besser gesagt, wohl durch sie erzeugt worden. Bei manchen Gottscheer Liedern, wie z. B. Nr. 72, 78, 111 u. a., braucht man nur wenige Zeilen und den Inhalt in großen Zügen sich zu merken und kann das ganze umfangreiche Stück singen.

Die Bilder und Vergleiche werden in den Gottscheer Liedern in einer verneinenden Form vorgeführt. Zuerst das Bild, dann die Berichtigung. Z. B. Nr. 62:

Von dort her zieht ein Nebel,
Es ist nicht ein Nebel, es sind deine Brautleute.

(Ähnlich Nr. 10 und 74.) Oder in Nr. 5 und Nr. 9:
Vom Himmel fällt ein kühler Thau,
Es ist nicht ein kühler Thau, es sind Marias Thränen u. a.

Diese Form des Vergleiches ist der südslawischen Volkspoesie besonders eigenthümlich, sie fehlt aber auch im deutschen Volksliede nicht ganz.

Es erübrigt nun noch eine Reihe von Motiven, Redewendungen und sachlichen Bezeichnungen zu besprechen, die in Gottscheer Liedern ab und zu vorkommen, ihnen aber nicht eigenthümlich zugehören. Es sind Typen der allgemeinen deutschen Volkspoesie. Auch auf diesem Gebiete zeigt sich die enge Verwandtschaft des Gottscheer Liederschatzes mit den allgemein deutschen Liedern und gelegentlich ein kleiner südslawischer Einschlag. Vor allem gehören hieher solche Redewendungen, die an bestimmte Situationen und Motive gebunden sind. So an alle Stadien der Entführung. Kommt der Geliebte in der Nacht an, so fragt er: "Schläfst du oder wachst du?" und sie antwortet: "Ich schlafe nicht, ich wache" (Nr. 54 und 85). 2 Ist das Mädchen bereit mit ihm zu gehen, so nimmt sie der Entführer bei der "schneeweißen" Hand und schwingt sie auf sein Ross (Nr. 54, 70, 70 a, 71, 73) oder er nimmt sie um die Mitte (Nr. 75, 82); Räuber nehmen sie bei der weißen Hand und führen sie in den finstern Wald (Nr. 68). Am Ziele angelangt, breitet der Entführer seinen Mantel aus und setzt das Mädchen drauf (Nr. 70, 70 a). Häufig ist auch die Redewendung: "Er hat das Wort kaum ausgeredet, da u. s. w. (Nr. 63, 79, 98, 124 u. a.). Der Sterbende im Liede Nr. 37 sagt: "Dort im grünen Garten, will ich euch alle warten." Diese Reimbindung ist so typisch, dass sie mitten in dem nicht gereimten, mundartlichen Liede mit dem hochdeutschen Vocal a, statt des Gottscheerischen u
a, gesungen wird. Der grüne Garten bedeutet hier: Friedhof. Der Rosengarten erscheint in der Bedeutung: Himmel in Nr. 5-7, 9, 43, als gewöhnlicher Hausgarten Nr. 55 und 62. Typisch ist endlich die Wendung: Wer ihn will haben, der wird ihn versorgen (Nr. 28 41 45 47).

Sehr oft wird in den Gottscheer Liedern die Fristbestimmung von sieben Jahren gewöhnlich noch mit einer kurzen Nachfrist angegeben. Das Volkslied liebt ungerade Zahlen, die als glückbringend betrachtet werden. Neben der Zahl 3 ist es besonders die Zahl 7, die auch nach biblischem Vorbilde sehr beliebt ist. Sieben Jahre und drei Tage bleibt die Meererin in der Fremde (Nr. 47 f., nur sieben Jahre in Nr. 46). Sieben Jahre und drei Tage bleibt der Bräutigam aus (Nr. 55, drei Jahre in Nr. 55 a) und ebensolang braucht das Liebchen des todten Freiers, um vom Friedhofe heimzufinden (Nr. 54). Sieben Jahre und sieben Tage spielt der Geiger vor dem Höllenthor (Nr. 96), die gleiche Zeit bleibt der heilige Alexius dem Vaterhause fern (Nr. 25; der Legende nach 17 Jahre), sieben Jahre und sieben Tage bleiben Soldaten im Heere (Nr. 52, 58, sieben Jahre in Nr. 50 f., 57 und 77). Die ältere militärische Dienstzeit betrug 12 Jahre, doch die typische Zahl sieben fordert im Volksliede ihr Recht. (Vgl. noch Nr. 19 und 99.) Sieben Jahre vergehen der Verbannten so rasch wie sieben Tage (Nr. 46).

Wie die alten deutschen Volkslieder, so haben auch Gottscheer Lieder häufig ein scheinbar überflüssiges es eingeschoben. Z.B. I gean
as ahin, Ich gehe dahin; as ischt as et dr prach asho, Es ist nicht der Brauch so; i tuan as, liabr, bochn, ich thue, Lieber, wachen u. a. Im Deutschen Wörterbuche, 3, 1138f., finden wir mehrere ähnliche Stellen aus deutschen Volksliedern beigebracht und die annehmbare Vermuthung ausgesprochen, dass dieses es für älteres sich eingetreten sei.

Über die Metrik der Gottscheer Lieder sei nur das Wichtigste erwähnt. Die neueren Lieder haben den metrischen Bau, wie er aus der Fremde kam, unverändert beibehalten; die alten Lieder haben auch in diesem Punkte ihre Eigenthümlichkeiten. Der Vers der alten Lieder hat immer vier Hebungen. Die Senkung ist frei, sie kann ein- bis dreisilbig sein oder (allerdings sehr selten) ganz fehlen. Der Rhythmus ist fast ausnahmslos jambisch, fast jeder Vers hat einen einsilbigen (seltener zweisilbigen) Auftakt. Die Zahl der Silben in den einzelnen Versen kann also sehr verschieden sein. Es ergeben sich wiederholt bedeutende metrische Unebenheiten, die aber nur eine akademische Bedeutung haben, da die Lieder niemals gesprochen, sondern nur gesungen werden und die Melodie alle Unebenheiten des Textes ausgleicht. Der musikalische Rhythmus bleibt sich im ganzen Liede gleich und ihm müssen sich die Worte unterordnen. Ob nun die Melodien einen geraden oder einen ungeraden Takt haben, in der Regel kommt auf einen Takt eine Hebung + Senkung. Also ein 2/4, 3/4 oder 3/8 Takt entspricht einem Versfuß. Hat die Melodie 4/4 Takte (also 2/4 + 2/4) oder 6/8 Takt (gleich 3/8 + 3/8), so kommen natürlich zwei Hebungen auf einen Takt, das ist ja nur eine äußerliche Verschiedenheit der Bezeichnung. Dem metrischen Auftakt des Verses entspricht auch in der Regel ein Auftakt in der Melodie. Da zwei Silben auf eine Note oder umgekehrt eine Silbe auf zwei Noten gesungen werden, da auch silbenbildendes l, m, r u.s.w. ohne Vocal einer Note entsprechen, so können natürlich Verse von verschieden viel Silben die gleiche Melodie haben, wenn nur die Zahl der Hebungen dieselbe bleibt. Der Ausgang ist verschieden, stumpf also mit der Hebung auf der letzten Silbe, oder klingend mit der Hebung auf der vorletzten Silbe.


Die Gottscheer haben ferner eine Reihe von Hilfsmitteln, um Verse mit zu wenig Hebungen der Melodie anzupassen. Silben, die in der Umgangsprache abgestoßen werden, singt man mit vollem Vocal; unorganisches e wird angefügt, wenn es die Melodie erfordert, z. B. shun
a, moara, für shun, moar (in Nr. 45); (deh oder deho wird in die Wörter eingeschoben oder ihnen angefügt, namentlich dann, wenn der gleiche Vers wiederholt wird, der zweite Theil der Melodie aber mehr Noten enthält, als der erste (z. B. Martine deho in Nr. 18, vgl. auch Nr. 64). Den gleichen Zweck erfüllen Flickwörter, wie na, nar, lai, bol und wohl auch das oben erwähnte as.

Die Strophen sind in der Regel zwei- oder dreizeilig, entsprechend den zwei- oder dreitheiligen Melodien. Alle Strophen eines Liedes sind einander gleich gebaut und werden nach der gleichen Melodie gesungen. Das Durchcomponieren der Texte ist ja dem Volksgesange immer fremd gewesen. Die zweizeilige Strophe besteht entweder aus der Wiederholung des einen Verses oder aus einem Vers und dem gleichlangen Refrain oder (seltener) aus zwei verschiedenen Versen. Die dreizeilige Strophe besteht aus der Wiederholung des einen Verses und dem Kehrreim, oder aus zwei verschiedenen Versen und dem Kehrreim, oder (seltener) aus dem einen Vers und aus dem zweimal gesungenen Kehrreim, immer vorausgesetzt, dass der Kehrreim einen ganzen Vers füllt. Keines der älteren Lieder hat mehr als dreizeilige Strophen. Wenn sich in einzelnen Liedern der Text wegen der regelmäßigen Wiederkehr bestimmter Wendungen zu Strophen von vier und mehr Zeilen gliedern lässt, so ist diese Eintheilung ganz unabhängig von der eigentlichen auf der Melodie beruhenden zwei- oder dreitheiligen Strophe (z. B. 6, 118, 120, 133). Der Text bekümmert sich wenig um die Strophengliederung. Es ist also nicht mit der Strophe zugleich der Gedanke abgeschlossen; auch der Satz kann von Strophe zu Strophe weiter gehen. Da in jeder Strophe der Inhalt ja meist nur um einen Vers weiterkommt, so ist es nicht gut anders möglich. In Liedern, für die uns die Melodie nicht überliefert ist, können wir die Strophengliederung aus dem Texte allein gar nicht erkennen. Wenn ein Theil eines Verses im nachfolgenden Verse wiederholt wird, dann vermeidet es der Sänger an solchen Stellen, jenen Vers zweimal zu setzen und geht gleich zum nächsten Vers über (z. B. Nr. 29, 45, 58, 95, 119 u. a.).

Der Kehrreim steht bei sehr vielen Gottscheer Liedern. Er ist ja von jeher ein Kennzeichen des Volksgesanges. Ursprünglich und zum Theile noch heute ist der Kehrreim für den Chor berechnet, der dadurch den Vortrag des Vorsängers unterbricht. Wie anderwärts, so ist er auch in Gottschee sehr mannigfaltig. Er besteht zuweilen nur aus wenigen Lauten der Empfindung: Jo, jo, oder Aube, Aube, und wird jedem oder jedem zweiten Vers angefügt und hat dann keine Bedeutung für den Strophenbau. Meist aber füllt er einen ganzen Vers und einen ganzen Abschnitt der Melodie und beschließt jede Strophe. Auch dann besteht er zuweilen nur aus sinnlosen Rufen: Hai didl dai a (Nr. 56) und kann in verschiedenen Fassungen des gleichen Liedes oft sehr verschieden sein. Z.B. im Liede Nr. 120 entweder: Tralladi radi rallala, oder Turl lumpa, tumpa, tump (ähnlich Nr. 108,). In den Legenden und geistlichen Liedern besteht der Kehrreim gewöhnlich aus einer Anrufung Jesu oder Maria oder des betreffenden Heiligen. Auch im Kehrreim der weltlichen Lieder wird gerne der Name des Helden genannt. -,Dai schean
a, dai junga, merarin" (Nr. 46-50) oder ,ai, ai, Neashizle- (Nr. 114). Enger hängt er mit dem Text zusammen, wenn er aus einer immer wiederkehrenden Frage besteht (Nr. 118) oder aus einigen Worten, die die Stimmung des ganzen Liedes bezeichnen. Z. B. Ar schpringat unt tonzat unt mit bischplt sho schean (Nr. 119) oder: O du longai eabikot, du kurzai bartl(Nr. 122).

Was bisher aus der Metrik der Gottscheer erörtert wurde, findet sich in der Hauptsache ebenso in den allgemein deutschen Volksliedern, so die Freiheit der Senkungen, der jambische Rhythmus, der Kehrreim. Auch ähnliche Nachhilfen, um Melodie und Worte einander anzupassen, finden wir z. B. bei den schlesischen und deutsch-böhmischen Liedern. Von der zwei- und dreizeiligen Strophenform allerdings macht der heutige Volksgesang nur selten Gebrauch und das nur in sehr alten Liedern. Die Siebenbürger Sachsen haben in ihren alten Liedern auch zumeist zwei- oder dreizeilige Strophen. Was aber das Gottscheer Lied von allen übrigen auf das auffälligste unterscheidet, das ist seine völlige Reimlosigkeit. Die deutschen Volkslieder haben zu allen Zeiten den Endreim. Freilich wird er nicht immer rein und consequent angewendet. Vielfach sind es nur Assonanzen oder nur eine Übereinstimmung der Consonanten (hin : geh'n, grün : schön, trug : tag u. s. w.), vielfach Reime, die nur in der ursprünglichen Mundart des betreffenden Liedes rein waren. Gepaarte und gekreuzte Reimbindungen stehen regellos nebeneinander, vielfach sind Verse, ja ganze Strophen ohne Reim. Im ganzen aber sind alle deutschen Volkslieder gereimt. Die alten Gottscheer Volkslieder hingegen haben weder Reim noch Assonanz, noch überhaupt den geringsten Ansatz dazu. Eine Ausnahme bildet, nur in einzelnen Liedern die Schlussformel:

Ich bin dein, du bist mein,
Das kann und mag nicht anders sein.

Aber auch hier wird der Reim nicht als nothwendig oder erwünscht empfunden, denn eine Variante zu Nr. 110 weicht ohneweiters davon ab und setzt als zweiten Vers:

"Das andre helf uns Gott." Und auch in schriftdeutschen gereimten Liedern, die später in Gottschee aufgenommen wurden, wird der Reim nach und nach ohne ersichtlichen Grund fallen gelassen (z. B. Nr. 42). Nur in wenigen jüngeren Liedern (Nr. 107, 120) finden wir mundartliche Reime.

Wie mag nun die Reimlosigkeit der Gottscheer Lieder erklärt werden? Wir dürfen nicht annehmen, dass sie ein alterthümlicher Zug sei und dass die Gottscheer in der Mitte des 14. Jahrhunderts einige alte reimlose Lieder mitgebracht hätten. Denn das deutsche Volkslied zeigt, soweit wir es zurück verfolgen können, also schon im 12. Jahrhundert den Endreim, und auch die Siebenbürger Sachsen, die schon in der Mitte des 12. Jahrhunderts ausgewandert sind, haben nur gereimte Volkslieder. Von den südlawischen Nachbarn können die Gottscheer diese Eigenthümlichkeit auch nicht angenommen haben, denn die Lieder der Südslawen sind ebenfalls gereimt. Auch die besonderen Lieder der österreichischen Alpenwelt haben durchwegs den Reim, der ja z. B. im Schnaderhüpfel ganz unentbehrlich ist, weil hier die Pointe oft gerade im Reimwort liegt. Zwei andere Gründe aber dürfen für die Reimlosigkeit der Gottscheer Lieder angenommen werden. Der erste liegt darin, dass die Vocale in der Gottscheer Mundart einer starken Veränderung gegenüber dem übrigen Oberdeutschen ausgesetzt sind. Viele Reime der deutschen Lieder wurden in der Gottscheer Mundart alsbald nicht mehr als Reime empfunden, und so wurden mit diesen auch die übrigen durch die Mundart nicht beirrten vereinzelten Reime fallen gelassen. Der zweite Grund dürfte in der Vortragsweise liegen. In den meisten Liedern wird jeder Vers wiederholt, dann folgt der Kehrreim und erst danach der nächste Vers. Bei dem langsamen Vortrage vergeht so von einem Reimwort bis zum anderen eine so lange Zeit, dass der Reim nicht mehr gefühlt wird. Es fehlte also vollständig das Bedürfnis danach und so wurde der Reim allmählich fallen gelassen.

Über die Melodien der Gottscheer Lieder wurde schon einiges erwähnt. Sie haben 4/4 oder 3/4 Takt und bestehen aus zwei oder drei Absätzen. Die eine kurze Melodie bleibt für alle Strophen gleich, höchstens dass ein Viertel in zwei Achtel umgeändert wird, wenn es der Text fordert. Die Lieder werden oft von einem Sänger allein, so wie die meisten unten mitgetheilt sind, gesungen. Sobald zwei Sänger die Lieder vortragen, singen sie nicht ein-, sondern zweistimmig. Die zweite Stimme, die von jedem leicht getroffen wird, bildet gewöhnlich die Terz zur ersten Stimme, beim Abschluss die Sext, seltener die Quint. Als Beispiel zweistimmigen Gesanges sind Nr. 4, 11, 44, 59, 111, 115 u. a. mitgetheilt worden. Ebenso werden anderwärts zweistimmige Volkslieder gesungen. Nur die jüngeren Gottscheer Lieder haben die gleichen oder ähnliche Melodien, wie ihre deutschen Parallelen (Nr. 4 entspricht Ditfurth 1, 52 ; Nr. 55 a ist gleich Hoffmann, Nr. 22; Nr. 79 gleich Hoffmann, Nr. 31; Nr. 125 gleich Tschischka und Schottky, 60).

Die Melodien geistlicher Lieder sind durch liturgische Gesänge beeinflusst (z. B. Nr. 36, 43 u. a.). Die alten Lieder haben andere Melodien, als die deutschen Parallelen und, wie mir scheint, auch alterthümlichere; doch muss das Urtheil darüber Fachleuten überlassen werden. Das Zeitmaß des Vertrages ist immer langsam. Feierlich und gleichförmig ruhig werden die Weisen gesungen. Nur scherzhafte Lieder wie z. B. Nr. 114 werden in rascherem Tempo vorgetragen.

Wie bereits erwähnt wurde, stammen mehrere Gottscheer Balladen und Lieder, etwa zwanzig, also wohl ein Zehntel des gesammten Liedergutes, aus dem Südslawischen. Es sind die Nummern: 26, 45, 63, 65, 74, 75, 77, 80 f., 90, 92, 96-101, 121, 123 (66, 94, 108). Die meisten davon sind aus dem Slowenischen frei übertragen, andere sind in einzelnen Motiven mit kroatischen oder serbischen Volksliedern näher verwandt. Haben Slowenen und Gottscheer ein Lied gemeinsam, so ist der slawische Ursprung nur dann erwiesen, wenn das betreffende Lied in Deutschland unbekannt ist und seiner äußeren und inneren Form nach einen südslawischen Charakter zeigt. Denn es kommt ja auch das Umgekehrte vor, dass ein ausgesprochen deutsches Lied der Gottscheer von den Slowenen übernommen wurde. Bei dem starken Verkehr der Gottscheer mit ihren sie rings umlagernden südslawischen Nachbarn ist es sehr begreiflich, dass sie auch Lieder und Sagen von ihnen erlernt haben. Die Volkspoesie wandert an den Grenzen von Ländern und Stämmen unausgesetzt hinüber und herüber. Die Wenden und die Czechen singen viele deutsche Balladen, die Siebenbürger Sachsen erzählen wallachische Märchen, die Volkspoesie der Magyaren ist ganz durchwoben von slawischen Fäden. Man bedenke die besonderen Verhältnisse der Gottscheer. Der Mann kam nach langer Abwesenheit von seiner Wanderschaft heim und sang den Seinen die Lieder vor, die er in der Fremde gehört hatte. Da musste es die zu Hause verbliebene Frau auch verlocken, ihm mit neu erlernten Liedern zu antworten. Wo anders sollte sie diese hernehmen, als von den slowenischen und kroatischen Nachbarn. Die Südslawen sind bekanntlich überaus reich an Volksliedern und es ist eher erstaunlich, dass die Gottscheer nur so wenig davon aufgenommen haben. Ein Beweis mehr, dass sie schon früh eine Fülle deutscher Volkslieder besessen haben, die fremdes Gut nicht recht aufkommen ließen.

Die Gottscheer haben die slowenischen Lieder nicht einfach übersetzt, sondern völlig überarbeitet. Schon in der
äußeren Form. Die slowenischen Lieder haben im Gegensätze zu den deutschen in der Regel trochäischen Rhythmus oder das Versmaß:

- oo - o - o -

Ferner meist Endreim oder Assonanz, und zwar paarweise. Ein Kehrreim ist selten. Die Gottscheer haben nun auch die slowenischen Lieder in ihre oben geschilderte äußere Form gekleidet, erzählen den Inhalt mit den typischen Gottscheer Formeln, eröffnen und schließen diese Lieder mit ihren auch sonst üblichen Eingangs- und Schluss-versen. Auch im Inhalte wird manches anders gewendet und zuweilen ein frommer oder tragischer Abschluss den weltlich und heiter schließenden Liedern der Slowenen angefügt (z. B. Nr. 63, 81).

Ein aus dem Slowenischen stammendes Gottscheer Lied, Nr. 98, hat auch den slowenischen Kehrreim beibehalten: Mare, bog pomagaj ! "Mare, Gott helf` uns !" So seltsam dies sein mag, es steht nicht ohne Beispiel da. Auch ein bekanntes deutsches historisches Lied, das "von den krainerischen Bauern" (Uhland, Nr. 186; Liliencron, Die historischen Volkslieder der Deutschen, 3, 188), hat einen slowenischen Kehrreim: stara pravda, "Das alte Recht", und: le vkup, le vkup vboga gmaina, "Nur zusammen, nur zusammen, arme Gemeinde." Das Lied erzählt ein Ereignis aus dem Aufstande der windischen Bauern vom Jahre 1515. Der deutsche Sänger benützt die slowenischen Kriegsrufe der Bauern als Kehrreim. Gemischt Deutsch und Slowenisch ist ferner unser Lied Nr. 140, dann eine Reihe von kärntischen Vierzeilern (Scheinigg, Nr. 17, 573 und S. 115) und ein Laibacher Kinderreim, bei dem die deutschen Wörter eine Übersetzung der slowenischen geben.

Miza, Tisch,
Riba, Fisch,
Kasa, Brein (Brei),
Lustig sein.

Fremdsprachige Verse oder Kehrreime in deutschen Volksliedern sind auch sonst keine seltene Erscheinung. Lateinisch-deutsch sind viele Nummern der Carmina burana, alte geistliche Volkslieder und Trinklieder. In modernen Volksliedern finden wir wiederholt französischen Kehrreim, so natürlich im Elsass (Mündel, Nr. 169), aber auch anderwärts (Ditfurth, 2, Nr. 55). Ostpreußische Kinderreime zeigen oft polnische Zeilen u. s. w.

Es sei nebenbei bemerkt, dass die Slowenen in ihren Volksliederschatz auch manches von deutschem Gut aufgenommen haben. Sie singen die deutschen Balladen vom ausgesetzten Kinde (vgl. die Anmerkungen zu Nr. 79) von der Liebesprobe (vgl. zu Nr. 65), vom schwatzhaften Gesellen (Stanko Vraz, 121; Simrock, Nr. 47), von der Warnung der Jungfrau (unten zu Nr. 121), vom Grafen Friedrich (Janezic, Nr. l), sie singen ferner vierzeilige Vize, die in Inhalt und Form ganz den deutschen Schnaderhüpfeln gleichen, endlich sind ihre Lieder ganz durchsetzt von deutschen Wörtern und Redewendungen.

Eine vierte Gruppe der Gottscheer Lieder bilden jene, die erst in letzter Zeit aus Deutschland in die Sprachinsel gekommen sind. Dazu gehören die Nummern 42 f., 82-85,87-89,102,116f, 125,127-129, 132,136-138. Sie sind daran zu erkennen, dass sie alle die besonderen Eigenthümlichkeiten der alten Gottscheer Lieder in Metrum und Stil nicht theilen. Sie sind ganz oder zum Theil Schriftdeutsch, sie haben schriftdeutsche Reime, verschiedene längere Strophenformen, und es fehlen ihnen die typischen Formeln. Je später die Lieder ins Land kamen, desto leichter haben sie sich dem Einflüsse der älteren Lieder und dem Zwange der typischen Formulierung entzogen. Einige von den jüngsten stimmen wörtlich mit den deutschen Parallelen überein (so z. B. Nr. 127, 138). Sie werden zumeist von dem männlichen Theile der Bevölkerung in der Form gesungen, in der sie aus der Fremde gekommen sind. Gelegentlich findet man auch in älteren Liedern Ausdrücke die ungottscheerisch sind, so in Nr. 47 z
aruk (zurück) für hintrshich, oder ringle (Ring) für wringle. Die Sängerinnen bemühen sich nämlich gerade, wenn sie einem Aufzeichner vorsingen, hochdeutsche Wörter anzubringen, um sich so verständlicher zu machen.

Zu den jüngeren Liedern gehören auch die Kettensprüche Nr. 127-132. Sie sind (vielleicht außer Nr. 130) deutschen Ursprunges, zum Theil in die Mundart übertragen, sonst aber ihren deutschen Parallelen fast wörtlich gleich geblieben. Auch das oben (S. 72) erwähnte Spottlied auf Martin Luther ist den Kettensprüchen beizuzählen. Viel gesungen werden auch die Kinderlieder, die Lieder zum Auszählen (austenzn) bei Kinderspielen u. ä.; die einen in der Mundart, die andern Schriftdeutsch, weil sie ja zum Theil durch die Schule den Kindern beigebracht werden. Die meisten Nummern sind gereimt und den in andern deutschen Gegenden gesungenen Kinderreimen fast wörtlich gleich, dürften also noch nicht lange im Lande sein. Wahrscheinlich sind durch diese jüngeren Kinderlieder ältere verdrängt worden.

Die Kenntnis und der Gesang alter Lieder scheint in Gottschee im allgemeinen zurückzugehen. Wenigstens sind in der Stadt und in den nördlichen Orten, die dem Verkehre stärker ausgesetzt sind, so in Mitterdorf, wenig alte Lieder mehr bekannt. Sie erhielten sich am besten im Unterland (Nesselthal, Lichtenbach, Kummersdorf) und im Hinterland (Rieg u. s. w.). Die Frauen sind viel liederkundiger als die Männer, besonders die alten Frauen. Nicht als ob die jungen Mädchen die Lieder nicht wüssten, aber es fehlt ihnen die Ruhe und Geduld, sich beim Gesange auf das ganze Lied zu besinnen. (Wie kurz ist z. B. Nr. 49, die Fassung der Meererinballade, die von einem jungen Mädchen herrührt.) Sobald sie alt geworden sind, taucht in
Stunden ruhiger Beschaulichkeit der ganze Schatz alter Erinnerungen auf und sie singen, theilweise durch eigene Phantasie dem Gedächtnisse nachhelfend, die Lieder, wie sie sie von ihren Müttern ehedem gehört hatten. Wenn nur die ältesten Frauen liederkundig wären, dann müssten die deutschen Volkslieder schon vor hundert Jahren ausgestorben sein, denn schon die ersten Sammler haben nur von den ältesten Mütterchen Lieder singen gehört. In Rieg in Obermösel, in Lichtenbach habe ich Frauen und Mädchen in mittleren Jahren kennen gelernt, die fünfzig Lieder und mehr singen konnten. In den Sechziger Jahren lebte noch in Rieg ein Dienstmädchen, das sich der Kenntnis von zweihundert Liedern rühmte. Von den Sängerinnen der unten mitgetheilten Lieder sind zwei im Alter von achtzig und sechzig Jahren vor kurzem gestorben; mit ihnen wäre manches alte Lied verloren gegangen, hätte es nicht Herr Lehrer Perz aufgezeichnet.

Mehrere der Lichtenbacher Lieder rühren von den Frauen Gertrud Tschinkel, Gertrud Wetz, Magdalena Vogrin her und von dem blinden Mädchen Margarete Kump, die ich alle selbst singen hörte. Auch wenn mehrere miteinander singen, bleibt die Weise in der Regel zweistimmig, nur beim Abschluss ist ein Drei- oder Vierklang üblich. Singen Männer mit, so pflegen sie im Brummbass eine tiefere Octave anzuschlagen. Mit merkwürdiger Sicherheit wird immer der richtige Ton getroffen, die Harmonie und Reinheit niemals verletzt. Der Wohlklang, die feierlich vorgetragene ernste Melodie, die von allen Schöpfungen der Kunstmusik völlig abweicht, erzielen einen erhebenden Eindruck. Diese Fertigkeit ist den Leuten förmlich angeboren, ihre Gesänge gleichen Naturerzeugnissen. Auch in Bezug auf den Text. Wie oft versichert eine Sängerin, dass sie das Lied gar nicht kenne, dass sie nicht wisse, wie der Inhalt sei. Sobald sie aber zu singen anfängt, löst sich das ganze Lied ohne Stocken und Zaudern von ihren Lippen los. Sie singt scheinbar ganz unbewusst; ihr persönlicher Wille zu singen und Worte aneinander zu fügen, ist gar nicht zu bemerken. Es ist, als ob das Lied von
selbst ertönen würde. Weichen beim Zusammensingen die Worte der Einzelnen untereinander ab, so entsteht über die Varianten ein heftiger Streit. Dass mehrere Fassungen nebeneinander ihre Berechtigung haben können, wird geleugnet, jede Abweichung gilt als Fehler und niemand gibt nach. Die Varianten sind auch im allgemeinen nicht bedeutend. Weichen zwei Fassungen wesentlich voneinander ab, so stammen sie gewiss aus ganz verschiedenen Gegenden (z. B. Nr. 28, 44-50, 55, 70, 71). Bei mangelndem Gedächtnisse wird ein Lied in Prosa aufgelöst zur Sage, ein Beispiel hiefür ist Nr. 25.

Gemeinsamer Gesang findet statt im Winter bei ländlichen Arbeiten, beim Rübenstoßen, beim Spinnen, beim Lesen von Erbsen und Linsen, beim Auslösen der Maiskörner u. s. w. Im Sommer und Herbst bei der Feldarbeit, des Abends in der Dorfstraße. Am bekanntesten sind noch heute in allen Theilen der Sprachinsel die verschiedenen Fassungen der Meererinballade. Sehr beliebt ist das Necklied Nr. 120, das auch in der Stadt vielfach gesungen wird. Die Behauptung einzelner Rieger Burschen, sie hätten es vor mehreren Jahren gemeinsam gedichtet, enthält insoweit ein Fünkchen Wahrheit, als das Lied seiner mundartlichen Reime wegen gewiss in neuerer Zeit in der Sprachinsel entstanden ist. Durch die Gottscheer Hausierer und durch fremde Arbeiter wurden in den letzten Jahren viele bekannte Kärntner und Steirer Lieder, sowie Erzeugnisse der Wiener "Volkssänger" ins Land gebracht, wo sie eifrige Pflege finden.

Localpatriotismus war den Gottscheern vor wenigen Jahrzehnten noch ganz fremd; das Landvolk war sich früher auch seiner Zusammengehörigkeit mit dem deutschen Volke kaum bewusst. Das ist jetzt alles glücklicherweise anders geworden, und nach dem Erwachen des freudigen Stolzes über ihre Heimat und ihre deutsche Abstammung bedurften sie auch eines besonderen vaterländischen Liedes. In ihrem alten
Volksliederschatze fehlt jeder localpatriotische Zug, aber ein Lied, das Professor Obergföll nach der Weise des deutschen Weiheliedes verfasst hat, füllte diese Lücke vollständig aus. Die "Gottscheer Hymne" ist thatsächlich zum Volkslied geworden. Auch der einfachste Mann kennt sie; überall wo Gottscheer fröhlichen Herzens oder in gehobener Stimmung beisammen sitzen, in der Heimat oder in der Fremde, wird sie angestimmt. Die Hymne lautet:

Wahlspruch:

Tief unten aus der Wendenmark.
Da schallt uns frohe Kunde:
Ein deutscher Volksstamm, kühn und stark,
Reicht euch die Hand zum Bunde!

1. Vom Rinnsequell zum Kulpastrand
Soll unser Lied ertönen;
Hoch lebe das Gottscheerland,
Hoch seinen deutschen Söhnen!

2. Uralt ist unsres Stammes Ruhm,
Wie unsrer Wälder Eichen;
Gott schirm dich, deutsches Herzogthum,
Steh fest, magst nimmer weichen!

3. Osmanenblut, Franzosenblut
Hat unser Land gefärbet,
Den unverdross'nen deutschen Muth,
Den haben wir ererbet.

4. Ob auch manch feiger Feindeswicht
Uns lästern mag und hassen,
Wir werden deutsche Sitte nicht
Und deutsche Art nicht lassen.

5. Drum, Brüder, schließet fest den Bund
Für unsre deutsche Sache!
Wir schwören es mit Hand und Mund,
Zu halten treue Wache!

6. Erhebet euch in voller Schar,
Ruft, dass es wiederhalle:
"Hoch lebe Östreichs Doppelaar,
Hoch Habsburg!" es erschalle.

7. Drum, Brüder, reicht die Hand zum Bund,
Die Gläser füllt zum Rande,
Lasst schallen es von Mund zu Mund:
"Hoch dem Gottscheerlande!"


Später wurde dem großen Gottscheer Wohlthäter Johann Stampfl (vgl. oben S. 46) zu Ehren eine Strophe hinzugefügt:

Und nochmals schenkt die Gläser voll!
"Heil Stampfl!" lasst uns singen.
Dem Besten der Gottscheer soll
Ein donnernd Hoch erklingen!

Und die in Amerika lebenden Gottscheer singen das Lied mit der neuen Schlusstrophe:

Wir wollen ja nicht bleiben hier,
Wir wollen heim noch kehren,
Wir lieben das Gottscheerland,
Wir halten's hoch in Ehren.

Ja, die dritte Strophe des Liedes wurde sogar von den Siebenbürger Sachsen nachgeahmt. Im Festsaale des Schützenhauses bei Kronstadt lautet einer der Wandsprüche:

Osmanenblut, Magyarenblut
Hat unser Land gefärbet,
Den echten, treuen, deutschen Muth,
Den haben wir ererbet.

Ich erwähne dies als ein ganz junges Beispiel dafür, dass neue volksthümliche Lieder ähnliche Schicksale haben können, wie alte Volkslieder.

( Die Deutsche Sprachinsel Gottschee, Dr, Adolf Hauffen, Docenten an der Deutschen Universität Prag, 1895)

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