20. Jahrhundert, Jahrhundertbuch der Gottscheer, Dr. Erich Petschauer, 1980.


Gottscheer und Slowenen

Das Verhältnis zwischen Gottscheern und Slowenen war durch Jahrhunderte ein gut nachbarliches. Von der ehemaligen Monarchie her gab es ebenfalls keine Trübung. Erst im 19. Jahrhundert bahnte sich eine solche durch den aurbrechenden Nationalismus an. Wie groß die Toleranz auf deutscher Seite schon im 16. Jahrhundert war, kann man im Großen Brockhaus, Band XIX, Ausgabe 1934, Seite 116, über den von den Slowenen hochverehrten Primoz Trüber nachlesen:

"Truber, Primoz (Primus Trüber), slowen. Geistlicher und Schriftsteller, geb. Rascica (Krain), 8. Juni 1508, gest. Derendingen (Württemberg) 25. Juli 1586, war Kanonikus in Laibach und Vikar in Krain und Kärnten. T. widmete sich besonders der Ausbreitung der Reformation unter den Slowenen und wurde zum Begründer der slowenischen Schriftsprache. 1547 ausgewiesen, ging er nach Deutschland, wo er den "Catechismus in der windischen Sprache' 1550 und 1556, ein Abededarium (1559, 1555) das Neue Testament (1557-1582) den Psalter (1556) u. a. ins Slowenische übersetzte und (bei Ungnad in Urach in Tübingen) drucken ließ. 1561 wurde er von den Krainischen Ständen nach Laibach zurückgerufen, mußte aber 1565 das Land wieder verlassen. Er war kurze Zeit Pfarrer in Lauffen (Neckar), seit 1566 in Deringen. Trubers Briefe erschienen 1897, hg. v. Th. Elze."

Wie schwer es allerdings einem slowenischen Intellektuellen selbst noch in jüngster Vergangenheit fiel, den Gottscheern gegenüber einen Mittelweg zwischen Vernunft, gesteuerter Toleranz und gefühlsüberfrachtetem Nationalismus zu finden, zeigt ein im Juni 1970 gehaltener Vortrag von Dipl.-Ing. Milan Ciglar. Der genannte Forstfachmann war zur damaligen Zeit Chef des slowenischen Instituts für Forst-und Holzwirtschaft in Laibach (Ljubljana). Er sprach in Gottschee zu Tiroler Forstfachleuten über das Thema "Zerfall und Neuaufbau einer Landschaft, dargestellt am
Beispiel des Gottscheerlandes". Seine Ausführungen sind für die Gottscheer von hohem Informationswert. Man wird es ihnen jedoch hoffentlich nicht verübeln, wenn sie ihrem Inhalt zunächst einmal kritisch gegenüberstehen, obwohl Dipl.-Ing. Ciglar ein gewisses Streben nach Objektivität nicht abgesprochen werden kann.

Bemerkenswert ist vor allem anderen die Offenheit, mit der Milan Ciglar darlegt, was seine Landsleute aus der von den Gottscheern verlassenen Kulturlandschaft gemacht oder nicht gemacht haben. Er, der Forstmann, stellt ganz natürlich den Wald als eine mit den Menschen ringende Lebensgemeinschaft in den Mittelpunkt. Nach seiner Meinung hat sich von allen Teillandschaften Sloweniens jene des Gottscheerlandes am wenigsten verändert. Rotbuche und Tanne sind die am weitesten verbreiteten Baumarten, aber auch Fichte und Ahorn sind überall anzutreffen. Auf Seite 9 des in Maschinenschrift vorliegenden Manuskriptes schreibt Ciglar:

"Die Natur des Gottscheerlandes ist also durch einen vitalen, unzerstörbaren Wald gekennzeichnet."

Die deutsche Besiedlung der ehemaligen Sprachinsel setzt der Vortragende, historisch richtig, mit den dreißiger Jahren des 14. Jahrhunderts an. Als Herkunftsgebiete der Kolonisten bezeichnete er Oberkärnten und Osttirol, womit er die Forschungsergebnisse der Wiener Professoren Dr. Kranzmayr und Dr. Maria Hornung anerkennt. Von Thüringen und Franken ist allerdings nicht die Rede. Die deutschen Siedler seien in ein praktisch unbesiedeltes Gebiet eingezogen, führt er weiter aus.

Das sind bekannte, historische Fakten. Die Gottscheer horchen erst auf, wenn Ciglar auf die Frage nach den Hintergründen ihres Umsiedlungsentschlusses eingeht und sich mit dem Verhalten seiner eigenen Landsleute nach der Wiederherstellung Jugoslawiens beschäftigt.

Den Umsiedlungsentschluß beurteilt Ciglar auf Seite 15 seines Vertrages wie folgt:

"Ein entsetzliches Verbrechen brach über die Gottscheer im Jahr 1941 herein, als die gesamte deutschsprechende Bevölkerung auf Grund eines deutsch-italienischen Vertrages in das Grenzgebiet des ehemaligen deutschen Reiches in die Nähe von Brezice (Rann) und Krsko (Gurkfeld) ausgewandert ist, wo wiederum dort die einheimische slowenische Bevölkerung vertrieben worden ist. Im Fall der Auswanderung der Gottscheer Bauern ist jedermann erstaunt, daß sie, obwohl sie 600 Jahre lang an Ort und Stelle lebten, doch nicht fest wurzelten und sich offenbar nicht genügend an den Heimatboden gebunden fühlten, wobei man sich die Frage vorlegen muß, ob sie sich vielleicht schon immer als Fremde fühlten und zu kleine innere Beziehungen zu den Vorfahren hatten oder ob sie einer augenblicklichen Verblendung anheim fielen, als sie auswanderten, ob sie schon längere Zeit den Gedanken der Auswanderung in sich trugen. Für die Auswanderung gibt es sicher mehrere Ursachen, die man hier nicht im einzelnen analysieren kann."

Die vorstehend zitierte Stellungnahme Ciglars zur Umsiedlung der Gottscheer ist nach Ansicht des Autors unsachlich und ungenau. Dem Verfasser ist beim Überlesen seines Vertrages nicht aufgefallen, daß die Einleitung und der Schluß den Inhalt des Mittelteiles aufheben.

Eingang spricht der Vortragende von einem "Verbrechen", das mit einem deutsch-italienischen Vertrag über die Gottscheer gekommen sei. Das heißt nicht mehr und nicht weniger, als daß die Gottscheer nicht freiwillig "ausgewandert" sind.

Ciglar ist in Gottscheer Fragen viel zu gut bewandert, als daß er diese Tatsache nicht gewußt hätte. Die durch nichts begründeten Unterstellungen, die Gottscheer hätten sich vielleicht schon immer als Fremde auf ihrem Boden gefühlt bzw. dazu keine rechte Bindung gewonnen und gegenüber ihren Vorfahren eine zu kleine Anhänglichkeit bewiesen, daß sie sich womöglich auch schon länger mit dem Gedanken der Auswanderung getragen hätten, sind daher falsch. Es wird damit versucht, die ganze Verantwortung für die Auflösung der ehemaligen Sprachinsel Gottschee ihren Bewohnern und dem Deutschen Reich zuzuschieben, während der slowenische Anteil an dem desolaten seelischen Zustand der Gottscheer von 1918 bis in das "Verbrechens"-Jahr 1941 zugedeckt wird. Ganz wohl fühlt sich der Vortragende allerdings in seiner Richterrolle über die Gottscheer nicht, sonst hätte er die Bemerkung, daß es "sicher mehrere Gründe für die Auswanderung" gegeben habe, unterlassen.

Wer ist ferner dieser "Jedermann", der über die "Auswanderung" der Gottscheer erstaunt gewesen sein soll? Etwa der Slowene, der Österreicher oder der Reichsdeutsche schlechthin? In allen drei Fällen beschäftigte sich nur ein ganz kleiner Kreis von politischen Experten bzw. organisatorisch Beauftragten mit der Problematik, die sich aus dem Vorhandensein des Gottscheerlandes ergeben hatte. Jeder dieser Kreise wußte, daß die Gottscheer, oder besser der Rest des Gottscheer Völkchens, nicht ausgewandert war, sondern umgesiedelt wurde. Die Art und Weise, wie dies geschah, ist nur aus der damaligen Zeit heraus begreifbar. Es ist unkorrekt, durch Verschweigen des Widerstandes vorzutäuschen, die Bevölkerung sei freiwillig gegangen. Die Behauptung aber, die Gottscheer hätten keine Bindung an ihren Boden besessen, ist absurd. Der Autor erlaubt sich lediglich die Gegenfrage, wie lange die Gottscheer noch auf ihrem Boden hätten verbleiben müssen, um ein Heimatgefühl zu entwickeln, wenn 600 Jahre dafür nicht genügten?

Zu den Plänen für den Wiederaufbau der zerstörten Gottscheer Kulturlandschaft fand der Chronist Ciglar nichts zu berichten, was der Leistung der deutschen Kolonisten des 14. Jahrhunderts vergleichbar gewesen wäre. Er stellte lediglich folgendes fest: "Man (gemeint sind die slowenischen Planer nach der Errichtung des sozialistischen jugoslawischen Staates, Anmerkung des Verfassers) baute ein großes, ideales Modell einer großzügig angelegten sozialistischen Landwirtschaft, in der Neusiedlung weder erwünscht noch erlaubt war.

Es leuchtet ein, daß es wenig sinnvoll gewesen wäre, die jahrhundertealte Gottscheer Wirtschafts- und Siedlungsform mit der starken Bodenzersplitterung da wieder aufzunehmen, wo die Umgesiedelten aufgehört hatten, zumal die meisten Siedlungen ja dem Erdboden gleichgemacht waren. Auch die Gottscheer hätten sich umgestellt, wenn sie nicht vertrieben worden wären. Dies war in den dreißiger Jahren bereits deutlich zu spüren.

An anderer Stelle der Seite 17 des Manuskriptes heißt es wörtlich: "In späterer Zeit kamen die Saisonarbeiter in das Land, von denen nur ein kleiner Teil geblieben war. Sie lebten mehr von Versprechungen und Erwartungen, als vom Resultat ihrer eigenen Arbeit und Anstrengung. So wechselte in jener Zeit häufig die Bevölkerung, und diejenigen, die geblieben sind, sind wohl solche, von denen man nicht immer sagen kann, daß sie sich mit dem Land verbunden fühlten".

Über die Stadt Gottschee sagte Ciglar, man habe sie modern aufgebaut, habe Straßen wie in Laibach angelegt, sowie eine Holz- Chemie- und Metallindustrie aufgebaut und damit neue Elemente in die Landschaft getragen.
Über die Zerstörung der Gottscheer Kulturlandschaften und der zurückgelassenen baulichen Eigenheiten sagte der Redner andererseits wörtlich: "Doch das Land um die Stadt Gottschee herum blieb tot, wie ein verlassener Friedhof. Die Zeit zerstörte angeblich alle Gebäulichkeiten, Dächer, Glockentürme aller Kirchlein, die alten Dorrbrunnen versiegten, die Obstbäume blieben ungeerntet, verwilderten jahraus, jahrein, mehr und mehr. Die Kapellchen und Dorflinden gerieten in völlige Vergessenheit. Die Bauherren, die alleinstehende Wald- und Jagdhäuser bauten, holten ihr Baumaterial von den alten Siedlungen und zerstörten damit die letzten Zeugen der alten Zeit. In späterer Zeit ging man dazu über, die Heiligenfiguren in Privathäuser, Kirchen und Antiquitätensammlungen zu bringen. Wer sich in den ersten Nachkriegsjahren in Gottschee einigermaßen zurecht fand, der vermochte sich allein aus den überall zugänglichen Kirchenschätzen ein ansehnliches Vermögen zu erwerben, ohne der Staats- oder Kirchenbehörde eine Rechnung zu bezahlen."

Den "vorstürmenden Wald" schildert Milan Ciglar seinen Tiroler Fachkollegen folgendermaßen: "Aber die gewaltigste Veränderung hatte nach dem Kriege niemand bemerkt, sondern erst zehn Jahre darnach, die unaufhaltsame Zurückeroberung der landwirtschaftlich genutzten Flächen. Die Uranfänge dieser Zurückeroberung gingen schon auf die Zeit vor hundert Jahren zurück, auf die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg .. . Selbst für den flüchtigen Kenner der Gottscheer Verhältnisse ist dieses Vordringen von Wald ein Vorgang von geradezu phantastischem Ausmaß. Man kann mit Sicherheit behaupten, daß der Wald inzwischen etwa 30.000 Hektar, rund 300 Quadratkilometer, also ein Drittel der Gottscheer Gesamtfläche erobert hat." Seit dieser Schätzung aus dem Jahre 1970 dürften mindestens 36.000 bis 37.000 Hektar geworden sein. Der Laibacher Diplomingenieur fährt fort: "Angesichts dieser Tatsache muß man sich nun vorstellen, wie dieses Gebiet in weiteren dreißig Jahren aussehen wird, nichts als Wald, Wald, überall Wald."

Bis hierher reichte die Lebenskraft des Autors. Erich Petschauer starb am 6. September 1977.

Er wußte um dieses Schicksal und hat seinen Bruder gebeten, das Schlußkapitel "Der Kreis schließt sich" nach seinen Angaben und in seinem Sinne zu Ende zu bringen.

Hermann Petschauer hat ihm seine letzte Bitte erfüllt.

("Jahrhundertbuch der Gottscheer", Dr. Erich Petschauer, 1980)

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